Neubeginn in Virgin River
mich an meinen Großvater. Wie war die Nacht? Hat sie gut geschlafen?“
„Sie war prima. Ist nur zweimal aufgewacht. Ich wollte sie gerade füttern.“
„Dann lassen Sie mich doch das Fläschchen geben, und Sie frühstücken. Ich habe auch Kaffee dabei.“
„Also wirklich, ich hatte ja keine Ahnung, dass Männer wie Sie hergestellt werden“, sagte sie und ging ihm in die Küche voraus. Er stellte den Teller und die Thermoskanne ab, sie übergab ihm das Kind und prüfte die Temperatur der Babyflasche. „Sie scheinen mit einem Neugeborenen sehr gut umgehen zu können – für einen Mann, der nur ein paar Nichten in Sacramento hat …“ Er lächelte sie nur an. Sie reichte ihm die Flasche und holte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank. „Waren Sie schon einmal verheiratet?“, fragte sie ihn, und im selben Moment bereute sie es schon. Es würde nur dazu führen, dass er sie das Gleiche fragte.
„Ich war mit dem Marine-Corps verheiratet“, antwortete er. „Und das war ein echtes Biest.“
„Wie viele Jahre?“, fragte sie weiter und schenkte den Kaffee ein.
„Etwas mehr als zwanzig. Ich war noch ein Kind, als ich mich gemeldet habe. Und was ist mit Ihnen?“
„Ich war nie bei den Marines“, scherzte sie lächelnd.
Er grinste zurück. „Und verheiratet?“
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und dabei lügen, deshalb konzentrierte sie sich auf ihre Kaffeetasse. „Ich war mit einem Krankenhaus verheiratet, und mein Biest war genauso gemein wie das Ihre.“ Zumindest war das nicht komplett gelogen. Mark hatte sich immer über ihre Arbeitspläne beschwert. Sie waren einfach mörderisch. Er arbeitete auf der Unfallstation und hatte gerade eine Sechsunddreißig-Stun-den-Schicht hinter sich gebracht, als er den Supermarkt betrat, wo er in den Raubüberfall hineinplatzte. Unwillkürlich erschauderte sie. Sie schob ihm eine Tasse hinüber. „Haben Sie an vielen Kämpfen teilgenommen?“
„An vielen Kämpfen“, wiederholte er und steckte dem Baby gekonnt das Fläschchen in den Mund. „Somalia, Bosnien, Afghanistan, zweimal Irak.“
„Kein Wunder, dass Sie jetzt nur noch angeln wollen.“
„Zwanzig Jahre bei den Marines, da wird fast jeder zum Angler.“
„Aber Sie wirken zu jung, um schon im Ruhestand zu sein.“
„Ich bin vierzig. Nach einem Schuss in den Allerwertesten habe ich beschlossen auszusteigen.“
„Autsch. Ist alles gut verheilt?“, fragte sie und bemerkte verwundert, dass sie rot wurde.
Lächelnd hob er einen Mundwinkel an. „Nur noch eine Narbe. Wollen Sie sie sehen?“
„Danke, nein. Also, Doc hat mich mit der Praxis allein gelassen, und ich habe keine Ahnung, worauf ich mich da eingelassen habe. Vielleicht könnten Sie mir einmal sagen, wo das nächste Krankenhaus ist. Und ob der Ambulanzdienst dort auch für das Dorf hier zuständig ist?“
„Das wäre das Valley Hospital. Und sie haben dort auch einen Ambulanzdienst. Nur, es dauert zu lange, hierherzukommen. Doc heizt gewöhnlich seinem alten Truck ein und macht das Rennen selbst. Wenn es einmal gar nicht anders geht und sie eine Extra-Stunde Zeit haben – die Ärzte in Grace Valley haben eine Ambulanz. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, hier im Ort je eine Ambulanz gesehen zu haben, seit ich hier bin. Ich habe gehört, dass damals, als der Lastwagenfahrer bei dem Unfall beinahe gestorben wäre, ein Hubschrauber gekommen ist. Der Hubschrauber dürfte vermutlich ebenso viel Aufmerksamkeit erregt haben wie der Unfall selbst.“
„Oh Gott, ich hoffe nur, dass die Leute hier gesund bleiben, bis der Doc wieder zurückkommt“, stöhnte sie und widmete sich ihrer Eierspeise. Diesmal schien es ein spanisches Omelett zu sein, und es schmeckte genauso köstlich wie das vom Tag zuvor. „Mmm“, lobte sie und fuhr dann fort: „Da ist noch etwas. Ich habe hier keine Funkverbindung, müsste aber meine Familie informieren, dass ich sicher hier angekommen bin. Mehr oder weniger.“
„Die Bäume sind zu hoch und die Berge zu steil. Benutzen Sie das Festnetz. Und machen Sie sich keine Gedanken über die Kosten für Ferngespräche. Sie müssen ja mit Ihrer Familie in Kontakt bleiben. Darf ich fragen, wer Ihre Familie ist?
„Nur eine ältere Schwester in Colorado Springs. Sie und ihr Mann haben beide ihr Bestes gegeben, um mir das hier auszureden – als ob ich mich dem Peace-Corps anschließen wollte oder so etwas. Ich hätte auf sie hören sollen.“
„Eine Menge Leute hier werden froh sein, dass Sie es nicht getan
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