Neubeginn in Virgin River
sei. Im Hinblick darauf, dass Sondra davon gesprochen hatte, dass die Geburten bei ihr immer schnell und leicht gewesen waren und sie letzte Nacht schon Wehen gehabt hatte, machte Mel sich sogleich auf den Weg.
Babys sind merkwürdig. Sie tun, was ihnen gefällt. Selbst dann, wenn man auf leichte Geburten zurückblicken konnte, hieß das noch längst nicht, dass es immer so sein würde. Unterstützt von ihrer Mutter, Schwiegermutter und ihrem Mann plagte sich Sondra den ganzen Tag lang. Am frühen Abend war der kleine Junge dann endlich da. Er kam nicht mit einem Schrei heraus, vielmehr musste Mel ihn absaugen, ihm einen Klaps geben und geradezu in die Welt hinausdrängen. Sondra blutete ein wenig zu stark, und der Kleine war vorerst nicht daran interessiert, ihre Brust zu nehmen. Auch Sondra fiel schnell auf, dass es ganz anders war als bei ihren beiden früheren Geburten.
Aber auch wenn der Start in die Welt ein wenig langsamer ist als gewöhnlich, bedeutet dies nicht unbedingt ein Problem. Herzschlag, Atmung, Gesichtsfarbe und Schreien des Babys stellten sich bald nach der Geburt normal ein. Dennoch, Mel blieb ein wenig länger, als sie es sonst getan hätte. Sie wiegte das Kind noch drei Stunden in ihren Armen, obwohl sie eigentlich davon ausging, dass alles in Ordnung war. Doch sie wollte einfach ganz sichergehen.
Es war bereits zehn Uhr abends, als sie fand, die Familie würde nun allein zurechtkommen. „Meinen Pager trage ich immer bei mir“, sagte sie noch, bevor sie ging. „Zögern Sie nicht, mich anzupiepsen, wenn Sie das Gefühl haben, dass irgendetwas nicht stimmt.“
Anstatt direkt in ihr Waldhaus, fuhr sie erst noch in den Ort. Sollte bei Jack alles dunkel und geschlossen sein, würde sie einfach nach Hause fahren. Aber in der Bar brannte Licht, auch wenn das „Geöffnet“-Schild nicht mehr leuchtete.
Als sie die Tür aufstieß, erwartete sie ein Anblick, mit dem sie absolut nicht gerechnet hatte. Preacher stand hinter der Bar und hatte eine Tasse Kaffee vor sich stehen, während Jack an einem Tisch saß und den Kopf auf die Arme gelegt hatte. Vor ihm stand eine Flasche Scotch und ein gefülltes Glas.
„Schieb bitte den Riegel vor, Mel“, bat Preacher sie. „Ich denke, wir brauchen nicht noch mehr Gesellschaft.“
Sie tat es, aber ihrem Gesicht war anzusehen, dass sie völlig perplex war. Dann ging sie zu Jack hinüber und legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Jack?“, fragte sie. Für einen kurzen Moment hob er den Kopf und öffnete die Augen, schloss sie aber gleich darauf. Sein Kopf fiel wieder auf seinen ausgestreckten Arm, der andere hing baumelnd nach unten.
Mel ging zur Bar und kletterte gegenüber von Preacher auf einen Hocker. „Was ist los mit ihm?“ Preacher zuckte nur die Schultern und griff nach seinem Kaffeebecher. Aber ehe er ihn an den Mund führen konnte, langte Mel blitzschnell über den Tresen hinweg und packte ihn am Hemd. „Was ist los mit ihm?!“, rief sie hitzig.
Preachers schwarze Brauen schössen überrascht nach oben, und er hob seine Hände, als wollte man ihn verhaften. Mel ließ ihn wieder los und setzte sich auf ihren Stuhl zurück. „Er ist betrunken“, erklärte Preacher wortkarg.
„Also, das kann man wohl sagen. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Schon die ganze Woche über ist er anders als sonst.“
Und wieder dieses Schulterzucken! „Manchmal, wenn die Jungs hier sind, werden ein paar Dinge aufgewühlt. Verstehst du? Ich denke, er hat ein paar Erinnerungen, die nicht so gut sind.“
„Erinnerungen an seine Zeit bei der Marine?“, fragte sie, und Preacher nickte. „Nun komm schon, Preacher. Er ist der beste Freund, den ich hier habe.“
„Ich glaube nicht, dass es ihm gefiele, wenn ich es dir erzähle.“
„Was es auch sein mag, er sollte damit nicht allein gelassen werden.“
„Ich werde mich um ihn kümmern“, versprach Preacher. „Er wird wieder zu sich kommen. Das tut er immer.“
„Bitte“, flehte sie ihn an. „Kannst du dir nicht vorstellen, wie viel er mir bedeutet? Ich möchte helfen, wenn ich irgendwie kann.“
„Ich könnte dir ein paar Dinge erzählen, aber es sind wirklich ganz schreckliche Geschichten. Nicht unbedingt geeignet für eine Lady.“
Sie lachte kurz auf. „Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles gesehen und gehört habe. Schließlich habe ich zehn Jahre lang auf einer Unfallstation gearbeitet. Da ging es manchmal schon mehr als schrecklich zu.“
„Nichts kann so schrecklich sein wie
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