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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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zehntausend Franc in der Tasche, also einen Gewinn von viertausendfünfhundert, dazu einen bunt zusammengewürfelten Rest von tausendzweihundert, der mir plötzlich nichts mehr bedeutete. Ich setzte auf Rot – und gewann. Die Äpfel und Zitronen ließ ich liegen, steckte den Perlmutt-Bleu-Tausender ein und sämtliche Orangen.
    Ich hatte bereits mein Bon soir geflüstert und mich auf den Weg zur Kasse gemacht, als ich am Nebentisch die Dekolletés zweier Frauen bemerkte und meinen Kurs änderte.
    Ich beugte mich über die beiden Damen – und setzte sämtliche Orangen auf Rot. Augenblicke später sah ich zum zweiten Mal auf die Damen herab und raffte den Gewinn zusammen.
    Der Mann an der Kasse schielte, aber das war die einzige Unregelmäßigkeit. Ich schritt hinaus, sprang die Stufen des Casinos hinab und die des »Hôtel de Paris« hinauf, rief »Ja! Gewonnen!« und überließ es Vera, die Scheine auf der Bettdecke zu sortieren. Alles in allem ein Gewinn von fast siebentausend Franc.
    Die Angst kam mit dem Erwachen. Ich weiß, wie lächerliches ist, von Angst zu reden. Die Tatsache, daß ich, selbst wenn ich alles verlöre, nichts verlöre, half mir nicht. Ich litt unter meiner eigenen Großmäuligkeit. Ohne zu überlegen, hatte ich das Angebot des Barons akzeptiert. Jetzt verstand ich schon nicht mehr, woher ich den Mut genommen hatte, tausendfünfhundert Franc zu setzen. Es schien mir absurd, so etwas je wieder zu riskieren!
    Vera hatte keine Freude an mir. Wir trotteten in der Frühlingssonne hinunter in die Bucht und hinauf zur Burg der Grimaldis, verpaßten die Wachablösung, drehten eine Runde durch die Kathedrale und landeten schließlich beim ozeanographischen Museum. Von der Dachterrasse aus beobachteten wir die Segler. Aber Ablenkung verschaffte mir all das nicht. Ich versuchte an Fußball zu denken.
    Bis sieben döste ich auf dem Bett, ohne eine Idee für das Spiel zu finden. Ich war davon überzeugt, nicht auf dieselbe Art und Weise wieder zum Erfolg zu kommen. Trotzdem zog ich mir nach dem Duschen die Sachen des gestrigen Abends an, sogar dieselben Socken. Vera hingegen sah eleganter denn je aus, auch ihre Frisur war neu. Doch weder sie noch ich hatte an eine Reservierung gedacht.
    Nachdem wir im »Louis XV « abgewiesen worden waren, schlug ich vor, im Casino zu essen. Angeekelt schüttelte Vera den Kopf. An der Rezeption machten sie uns Hoffnung auf den Churchill-Room des »Grill«.
    Bonsoir, bonsoir, bonsoir, bonsoir. Wieder schritten wir die Kellnerfront ab, durchquerten den großen Speisesaal und durften uns schließlich im leeren Churchill-Room den Tisch aussuchen. Ich begriff nicht, warum die Kellner bedauerten, uns hier plazieren zu müssen. Mir kam es eher wie eine Auszeichnung vor. Erst als wir saßen, bemerkte ich das große Photo von Churchill. Sein Blick richtete sich auf mich.
    Die Hälfte der Kellner war uns vertraut, der Hocker für die Handtasche wurde gebracht, meine Speisekarte war auf englisch.
    (Schweren Herzens mußte ich eben Terrasse und Zimmer räumen. Nun sitze ich bei Tee und Zwieback und unerträglichem Pianogeklimper im Café des Hotels. Wenigstens wird man hier nicht ständig photographiert.)
    Wir zeigten Routine, wählten sofort die Brotsorte (Olive), wußten, welche Butter gesalzen war, den Rotwein bestimmte ich schnell, dreihundert Franc galten mir längst als preiswert. Der Bestellkellner überwachte persönlich das Servieren des ersten Ganges. Nicht nur das. Als wäre die Sahne in der Mitte des leeren Tellers meine ganze Vorspeise, wünschte er uns »Bon appétit!«, zögerte spitzbübisch, um dann mit Eleganz die Pilzsuppe um die Sahne zu gießen.
    Ich kostete von Veras Risotto und dachte für ein paar Minuten nicht ans Casino. Der nachfolgende Zwischengang ging auf Rechnung des Hauses. Dann war ich satt.
    Woher kam der Klumpen in meinem Magen? Beim Hauptgang konzentrierte ich mich auf den Fisch, kostete aber nur davon und ließ alles andere unberührt. Der Käsewagen durfte sich mir erst gar nicht nähern. Wiederum auf Rechnung des Hauses und mit bester Empfehlung des Kochs folgten gefüllte Crêpes.
    Mir war schlecht. Vom Flaschenwagen wählte ich einen Calvados. Mild rann er hinab, begann allmählich zu brennen – dann explodierte die Übelkeit. Unser Hauptkellner geleitete mich schnellen Schritts durch das Restaurant – nicht auf die Tische sehen! – und zur Toilette. Vor der Kloschüssel ging ich auf die Knie und ächzte mehrmals. In der Ecke lagen

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