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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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und klanglos mit Besichtigungen des Krankenhauses und der Tageszeitung, die hier das Monopol hat. Von Burda sahen wir nichts. Jörg wurde im Radio interviewt. Abends spendierte uns die Zeitungszarin ein Essen. Während des zweistündigen »Meinungsaustausches« stahlen wir uns abwechselnd davon und riefen in der »Sonne« an, jederzeit bereit aufzubrechen.
    Die Zarin, die erste Millionärin, die ich mit Bewußtsein sah, hatte zu allem Überfluß auch noch graublaue Augen, schwarze Haare und eine Haut wie Milch. Während des Nachtischs unterbreitete sie das Angebot, uns Druckmaschinen, Computer und überhaupt all das hinzustellen, was wir für eine Zeitung brauchten.
    »Sie wollen uns anstellen?« fragte Georg. Die Zarin vollführte mit ihren schlanken Händen eine Geste, die sagen sollte: Sie haben es erfaßt.
    Jörg klärte sie auf, daß bereits in drei Wochen unsere erste Ausgabe herauskommen werde. Die Augen der Zarin wurden immer schmaler, und ihr Lächeln erschien mir verträumt.
    »Wir gehören uns sozusagen selbst«, resümierte Georg im Tonfall einer Entschuldigung.
    »Das ist schade«, sagte sie, »wirklich sehr schade.« Für einen Moment hatte ich das Gefühl, wir begingen einen Fehler.
    Am nächsten Morgen polterte Wolfgang an unsere Tür. »Er sitzt unten und wartet. Er hat nicht viel Zeit!«
    Steen war bester Laune. Seine Bemerkungen brachten Wolfgang unablässig zum Lachen. Ich hatte gerade begonnen, vom großen Mißverständnis zu reden, als Steen rief: »Schnäbelchen auf!« Er hielt mir eine Gabel unter die Nase, ich sollte kosten. Eswar purer Speck, schmeckte aber! Steen orderte eine Portion für mich. Jörg und Georg sperrten ebenfalls die Schnäbelchen auf.
    Michaela, in ihre alten Jeans gezwängt, trat als letzte ein. Steen war zuvorkommend und verfolgte jeden ihrer Schritte, doch seine alte Begeisterung war dahin. Trotzdem tat er so, als hätten wir uns zwei Tage lang miteinander amüsiert. Er schwärmte vom Schwarzwald, von Basel und Strasbourg, um uns aus heiterem Himmel aufzufordern, deutsche Autos zu kaufen. Für ihn kämen nur deutsche Autos in Frage. Er füge sich damit ein in den Kreislauf der Wirtschaft. Wer es selbst gut haben wolle, müsse etwas dafür tun, daß es auch anderen gutgehe. Ich gebe es schlecht wieder. Er sagte es besser. Viel wichtiger war sein Tonfall. Steen ist von sich überzeugt, überzeugt, ein redliches Verhältnis zur Welt zu haben, bereit, jederzeit Rechenschaft über sein Tun abzulegen.
    Sein Abschied war wieder kurz. Er wünschte uns gute Fahrt, küßte Michaela auf beide Wangen und verschwand.
    Wir sollten nicht solche Gesichter machen, zischelte Michaela. Wolfgang hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt und Steen nur mit einem Nicken verabschiedet. Auch danach hatte er es nicht eilig, rückte näher an den Tisch, ließ sein Feuerzeug ratschen und zündete sich eine Zigarette an. Geräuschvoll schlürfte er seinen Kaffee. Ich ahnte schon, daß er beauftragt war, uns etwas auszurichten. Niemand hatte gewagt, ihm die Schuld an dem verpatzten Abend zu geben. Immerhin verdankten wir seiner Vermittlung die Hotelzimmer. Wolfgang schob seinen Teller beiseite, wischte Krümel von der Tischdecke, zog ein paar Blätter hervor und legte sie vor sich hin. »Hier sind«, begann er ohne Einführung, »zweihundertzweiundsechzig Adressen, an die ihr die Zeitung verschicken sollt. Hier sind zweihundert D-Mark für Benzin und noch mal für jeden hundert als Spesen und hier … zwanzigtausend. Außerdem«, fuhr er monoton fort, »hat er nochdas hier dagelassen.« Damit entleerte er einen Stoffbeutel, der denselben Aufdruck zeigte wie die Feuerzeuge, Kulis, Schreibblöcke und Bleistifte, die zwischen die Teller und Tassen hagelten. »Ihr müßt nur
hier
unterschreiben.« Er schob den Firlefanz zur Seite, legte ein Blatt vor mich hin und reichte mir seinen Kuli. Ich glaubte, es ginge um die hundert D-Mark und das Benzingeld. Deshalb unterschrieb ich und schob das Blatt weiter. Erst als Michaela zögerte, sah ich, daß ich den Empfang von zwanzigtausend D-Mark quittiert hatte. »Einer mehr kann nicht schaden«, sagte Jörg, unterschrieb selbst und gab das Blatt weiter an Georg. Im Gegenzug erhielten wir ein Blatt, auf dem sich aus lauter Schwüngen der Name Jan Steen bildete.
    Doch damit nicht genug. Du weißt ja, der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Das Offenburger Rathaus rief an, wir sollten, wenn es uns recht wäre, noch einmal vorbeikommen, man würde uns

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