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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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noch mehrmals hin und her, wie um sicherzugehen, daß tatsächlich alles ausgeschmiert sei. Dann sah er auf, als wollte er sagen: Das mache ich nur für dich.
    Sei umarmt von Deinem Heinrich
    PS : Ich sitze am »grünen Ungeheuer« und spüre Zugluft im Rükken. Ich denke, Jörg oder Georg ist hereingekommen. Ich drehe mich um – und muß niesen. »Gesundheit«, sagt eine Frauenstimme. Die Tür ist geschlossen. Zweimal niese ich noch, und jedesmal wünscht mir die Frauenstimme mit demselben Gleichmut »Gesundheit!« – »Wer sind Sie?« frage ich und trete näher. Sie kauert am Ofen und massiert sich die Zehen. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht und entspannt kurz ihre Züge. Dann zieht sie zischelnd die Luft durch den Mund ein und atmet hörbar durch die Nase wieder aus. An den Fersen haben ihre Strümpfe Löcher. »Schau weg«, sagt sie. »Ich dachte«, fährt sie fort und preßt für einen Moment die Lippen zusammen, »ich dachte, du hättest mich hereingebeten? Ich hatte geklopft.« Mit dem Rükken an den Ofenkacheln schiebt sie sich langsam hoch. Sie versucht, in ihre Schuhe zu fahren. »Au! Au!« jammert sie. »Es tut so weh!«
    »Um Himmels willen!« rufe ich. Was ich für eine im Mundwinkel hängengebliebene Haarsträhne gehalten habe, erweist sich jetzt, da sie zur Decke sieht, als Narbe. Ich begreife, daß sie eine Adlige ist.
    »Er wärmt nicht mehr«, sage ich entschuldigend und deute auf meinen Mantel neben der Tür. Ich ärgere mich, weil ich seit Tagen plane, ihn in die Reinigung zu bringen, um ihm seine alten Eigenschaften zurückzugeben. »Wollen Sie mich begleiten?« frage ich. »Wenn wir gleich loslaufen, schaffen wir es bis sechs in die Reinigung.«
    »Wie soll ich das denn anstellen?!« ruft sie. Tränen ersticken ihre Stimme. Ob ich keine Augen im Kopf hätte, selbst einem Blinden müsse auffallen, wie wenig sie in der Lage sei, auch nur einen Schritt zu gehen!
    »Darf ich Sie tragen?« frage ich, ohne die Erwartung in meiner Stimme unterdrücken zu können. Ihre Bluse hat sich untengeöffnet, und ich sehe von ihrem Bauch ein Dreieck, in dessen Mitte der Nabel ist, genau wie das Auge Gottes, denke ich. Ich freue mich über den Vergleich. Gerade aus Mißlichkeiten, sage ich, entstehen oft die schönsten Gelegenheiten. Da lacht sie auf. Unverhohlen wandern ihre Augen über mich. Offenbar reizt sie alles an mir zum Lachen, ich scheine es herauszufordern. Schließlich wird sie von einem Lachkrampf geschüttelt, dessen sie nicht mal Herr wird, als sie beide Hände vor den Mund hält. Sie ringt nach Luft, biegt sich vor Lachen, ihre an den Spitzen hellroten Haare fallen ihr übers Gesicht und verbergen es vollständig.
    Ich saß schon auf der Bettkante und lauschte, so sicher war ich mir, das Lachen gehört zu haben. Es war vier! Mein Tag hatte begonnen.

 
     
    Dienstag, 6. 2. 90
     
    Verotschka,
    ich verlasse die Redaktion nur ungern, weil ich fürchte, Deinen Anruf zu verpassen. Komme ich herein, muß ich mich beherrschen, nicht jedesmal nach Dir zu fragen. Ich werde ungehalten, wenn Jörg oder Georg zu lange telephoniert. Ich habe versucht, Dich von Paris aus zu erreichen, aber irgend etwas habe ich falsch gemacht und auch die Telephonansage nicht verstanden.
    Ja, wir sind in Paris gewesen, zumindest behaupten wir das. Am Sonntag um neun waren wir schon wieder zurück. »Wir kommen aus Paris!« verkündete Robert einer Nachbarin im Treppenhaus. Statt zu staunen oder Fragen zu stellen, sah sie Michaela und mich tadelnd an, als duldeten wir Lügengeschichten. Was Michaela dann erzählte, die Prozedur mit den Ausweisen,machte ihr das Ganze erst recht suspekt. Die Wahrheit hilft einem gar nichts, wenn man jemanden überzeugen will!
    Ich bin froh, daß es überstanden ist. Ich hatte mir schließlich eingeredet, wegen Robert mitzufahren, ein Familienausflug eben. Michaela meinte, wir könnten es uns auch ohne Geld schön machen. »Drei-Tage-Fahrt« hieß es offiziell. Der erste Tag war der Freitag. 17 Uhr sollten wir in Eisenach abfahren.
    Hunderte von Leuten warteten auf einem matschigen Platz, umgeben von Abrißhäusern und ein paar trüben Lampen. Ohne die Taschen und Beutel hätte es wie der Beginn einer Demonstration ausgesehen. Mamus hatte seit zwei in Eisenach auf uns gewartet. Sie war völlig aufgelöst, weil wir erst gegen halb fünf ankamen. Die eintreffende Bus-Armada scheuchte uns von einem Ende des Platzes zum anderen vor sich her. Die Fahrer erschienen in den sich öffnenden Türen,

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