Neue Leben: Roman (German Edition)
Käferchen ist gestorben, der Alte sinnt auf Rache. Wenn er zurückkommt, schützt mich niemand vor ihm, denn weder darf er von der Polizei in Gewahrsam genommen noch in die Psychiatrie gesperrt werden, bevor er nicht irgend etwas angerichtet hat. Zumindest Marion wir sich darüber freuen.
Die morgendliche Stunde, in der mir Frau Schorba Nachhilfe am Computer gibt, ist wie das Atemholen für den ganzen Tag. Komme ich nicht weiter, sagt sie mir vor, doch so, als wäre ich sowieso im nächsten Augenblick selbst draufgekommen. Ihre Ungeduld verrät nur die Oberlippe, die wie eine rosa Raupe auf dem scharfen Strich ihrer Unterlippe hin und her kriecht. Meine erste selbstgesetzte Anzeige waren Cornelias »Italienische Wochenfür Fußballfans«. Das WM -Signet haben wir aus der LVZ ausgeschnitten und einfach aufgeklebt.
Während ich auf Fred wartete, lähmten mich die Gedanken an die bevorstehende Auseinandersetzung am Nachmittag. Vor mir lagen Freds Listen von den Landtouren. Ich verglich die Zahlen der letzten beiden Wochen auf dem obersten Zettel miteinander. Mal war ein Exemplar weniger verkauft, mal drei. Im besten Fall stagnierte es. Die Summe jedoch wies ein Plus von dreißig verkauften Zeitungen aus!
Von den zehn Listen, die ich bis zu Freds verspätetem Eintreffen überprüft hatte, stimmten zwei. Die Rechenfehler brandmarkte ich mit rotem Filzstift und Ausrufezeichen. Eigenartigerweise wogen die Fehler einander mehr oder minder auf.
Als er hereinkam, war gerade Manuela, unsere Wunderwaffe, bei mir (sie bringt mehr Anzeigen als die drei anderen Akquisiteure zusammen). Fred, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände über dem Bauch gefaltet, verdrehte die Augen, um kundzutun, für wie überflüssig er es hielt, daß ich mir Manuelas Tratsch anhörte. Als er auch noch den Kopf schüttelte, reichte ich ihm wortlos seine Listen. Würde ich ihn nicht kennen, sagte ich, müßte ich Betrug unterstellen. Dann verabschiedete ich Manuela und bat sie, mir Ilona nach hinten zu schicken.
»Kannst du mir das erklären?« fragte ich Fred nach einer langen Pause. »Kannst du mir sagen, wie du abgerechnet hast?«
Er hätte immer alles Geld abgeliefert, nie etwas zurückbehalten, und Ilona hätte es ihm quittiert.
»Und dir sind«, fragte ich und ordnete die Blätter wieder der Reihenfolge nach, »nie Unstimmigkeiten aufgefallen?«
Fred zuckte mit den Schultern. Ich schwieg. Ob er gehen könne, fragte Fred. »Nein«, sagte ich, »wir warten auf Ilona.«
Dieser Satz blieb für einige Zeit der letzte, bis Fred von sich aus fragte, ob er Ilona holen dürfe.
»Ach du Schreck«, sagte sie, als ich die Listen vor ihr ausbreitete.
»Und du hast ihm das Geld abgenommen und quittiert?«
»Ich hab’s gerollt und zur Bank geschafft, heij«, sagte sie, als erwarte sie dafür Lob. Sie schien nicht einmal zu ahnen, was das mit ihr zu tun haben sollte.
»Und nichts nachgerechnet?«
Sie habe das Geld genommen und zur Bank geschafft, wiederholte sie.
Die beiden schnieften um die Wette, als ich sagte, daß sie alles stehen- und liegenlassen und die Listen nachrechnen sollten. Heute nachmittag brauchten wir die Zahlen. »Vielleicht«, sagte ich zum Schluß, »sind wir ja schon längst pleite.«
Als es kurz nach fünf losging, war die Stimmung unerträglich. Ilona und Fred saßen mir gegenüber und redeten über etwas, was sie ständig zum Lachen reizte. Anstatt nachzurechnen, hätten sie andere Aufträge erledigen müssen. Ich sei doch ihr Kontrolleur, eigentlich sei das meine Aufgabe.
Pringel saß für sich und starrte auf das leere Blatt vor ihm. Er wußte bereits, was ihn erwartete, nur ich hatte keine Ahnung. Kurt fehlte, die Akquisiteure waren nicht geladen. Allein Jörg schien von alter Herzlichkeit.
Er stellte als erstes Ilona und Fred zur Rede, warum sie meiner Anordnung nicht gefolgt seien, sich um die Abrechnung zu kümmern. Sie waren völlig verblüfft.
Frau Schorba gab die Werbeeinnahmen bekannt. Wir brauchten gar kein Anzeigenblatt mehr zu werden, sagte Jörg, wir seien bereits eins. Ab der letzten Juniwoche solle das »Wochenblatt« in Gera gedruckt werden, um vier oder acht Seiten verstärkt. Dann gebe es auch wieder Platz für Artikel, was unseren Verkaufszahlen wesentlich besser bekommen werde als diese Anzeigenschwemme, mit der wir uns selbst das Wasser abgrüben. Damitwar Jörgs Ausblick in die Zukunft beendet. Er stellte seinen neuen Aufmacher vor, den ihm die »Kommission gegen Korruption und
Weitere Kostenlose Bücher