Neue Leben: Roman (German Edition)
meinten und tatsächlich von ihm erwarteten, zur Polizei zu gehen und eine Demonstration zu beantragen? Solche »Be-schlüs-se« (er sprach, jede Silbe betonend, die Anführungszeichen mit) kümmerten ihn einen feuchten Dreck. Wir könnten uns gern weiter unglücklich machen und als Privatpersonen so viele Demonstrationen anmelden, wie wir für nötig hielten, sollten dann aber auch unseren eigenen Kopf hinhalten und ihn später nicht um Hilfe bitten, denn das sage er uns jetzt schon, dann könne er gar nichts mehr für uns machen, gar nichts mehr!
Michaela wollte, wie sie sagte, sich nur noch einmal vergewissern: Er sei also nicht bereit, die in Berlin von den Gewerkschaftsvertretern aller Theater beschlossene Demonstration hier in Altenburg zu beantragen?
Er wisse nichts von Beschlüssen der Gewerkschaft. Er könne ja mal die Gewerkschaft hier anrufen, wenn wir das wünschten, vielleicht wüßten die, wovon wir redeten.
»Das bedeutet also nein?« fragte sie.
»Es bedeutet ganz sicher nein«, sagte er. Wir lächelten uns an. »Na dann«, sagte Michaela und erhob sich, als gerade die Sekretärin mit drei Tassen Kaffee erschien.
Nach der Probe gingen wir zur Polizei, 318 klingelten und standen im nächsten Moment vor zwei Diensthabenden, der eine schwarzhaarig, der andere blond und pausbäckig. Sie musterten uns von ihren Schreibtischen aus.
»Wir wollen eine Demonstration anmelden«, sagte Michaela, stellte uns vor und gebrauchte dieselben Sätze wie gegenüber Jonas. Der Schwarzhaarige griff zum Telephon, der Blonde sah aus dem Fenster und grinste.
Eine Minute später benutzte Michaela zum dritten Mal an diesem Tag die Formulierung »Berliner Beschluß« und »Treffen der Theaterschaffenden«.
Der Altenburger Polizeichef, ein langer hagerer Mann mit Rundrücken, wirkte, selbst wenn er sprach, abwesend und blickte, wenn er uns überhaupt ansah, allenfalls kurz auf. Nach einer längeren Pause sagte er etwas von Verkehrssicherheit, die er »mit seiner jetzigen Stärke« nicht gewährleisten könne, klagte über die Kurzfristigkeit unseres Anliegens. Danach herrschte Schweigen. Ich betrachtete die Spuren von rotem Bohnerwachs an der Fußleiste des hellen Wandschranks und die schwarzen Striemen der Bohnerkeule.
Plötzlich fragte der Polizeichef, wie denn das Thema unserer Veranstaltung laute.
»Die Zulassung des Neuen Forums, freie und geheime Wahlen, Presse- und Informationsfreiheit, Meinungsfreiheit, Reisefreiheit – eben alles, was in unserer Verfassung garantiert wird«, sagte Michaela. Der Polizeichef stemmte sich hoch, stellte sich ans Fenster und verschränkte die Arme, was seine Schultern noch weiter nach vorn zog. An seiner Hüfte trug er eine Pistole.
Michaela und ich schlugen gleichzeitig die Beine übereinander, was mir etwas peinlich war.
Ohne sich zu rühren, wies er uns schließlich an, wieder nach unten zu gehen und die notwendigen Formulare auszufüllen, nickte zum Abschied in Richtung Tür und starrte dann weiter aus dem Fenster.
Der blonde Polizist grinste immer noch. Auf seinem Tisch lagen die beiden Formulare für die »Anmeldung einer Veranstaltung im Freien«. Michaela runzelte die Stirn. »Es gibt nichts anderes«, sagte der Schwarze, der glänzende Lippen hatte und mit seinen geschwungenen Augenbrauen mädchenhaft wirkte.
Als Teilnehmerzahl trugen wir zehntausend ein, gaben als Zeitraum 13 bis 15 Uhr an und schrieben in die Rubrik Musik – ungewiß. Unter dem Rubrum »Ort der Veranstaltung« war zuwenig Platz vorgesehen. Bei der Festlegung der Demonstrations-strecke hielten wir uns an die Route, die sich letzten Donnerstag ergeben hatte, nur daß wir die Demonstration am Theater beginnen lassen wollten. Wir unterschrieben beide. Auf die Frage nach dem weiteren Procedere bestellte uns der Blonde für nächsten Dienstag und sah fragend zu seinem dunklen Kollegen hinüber. Der zuckte mit den Schultern und wiederholte »Nächsten Dienstag«. Michaela reichte ihnen nacheinander die Hand, sie schnellten von ihren Stühlen hoch. Auch ich schüttelte ihnen die Hände. Der Pförtner grüßte uns aufgeregt wie alte Bekannte und ließ die Außentür summen. »Wir hätten sie nur noch um ihre Colts bitten müssen«, sagte Michaela draußen.
Am Mittwoch wartete ich am Auto auf Michaela, es war später als sonst geworden. Ich hörte, wie jemand leise meinen Namen rief. Die Sekretärin des Intendanten hatte ihr Fenster nur einen Spalt weit geöffnet und winkte mir zu, als schlüge sie einen
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