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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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Staublappen aus.
    »Na! Hörst du schon das Kettenrasseln?« rief mir Jonas entgegen, als ich das Sekretariat betrat. »Hörst du die Panzer noch nicht? Laßt eure Demo sein. Krenz ist neuer Generalsekretär!«
    Ich weiß bis heute nicht, was Jonas’ Ausbruch provoziert hat. Er hatte wohl mein Lächeln als Spott mißdeutet. Jonas lief rot an und brüllte: »Krenz war in China!« Und als ich weiterschwieg: »Vor drei Wochen war er dort, vor drei Wochen! Ihr begreift nichts, nichts!« Und knallte die Tür hinter sich zu.
    Dabei gab ich ihm ja recht. Auch ich hielt die »chinesische Lösung« für möglich, ja in gewisser Weise für folgerichtig.
    Michaela und ich trafen an der Pforte zusammen. Sie empörte sich über Amanda, die Requisite, weil die vor der Probe alle umarmt und sich verabschiedet hatte – in den Westen. »Die hat die ganze Zeit einen Ausreiseantrag laufen, hält den Mund und ist nun fein raus!« In der Kantine hatten sie gestritten. Angeblich war aus der Intendanz der Vorschlag gekommen, die »Krähwinkel«-Premiere abzublasen. »Wegen Krenz«, hieß es.
    Michaela saß neben mir im Auto und spielte mit dem Henkel ihrer Handtasche. Sie war nicht davon abzubringen, zu einem Treffen des Neuen Forums zu gehen. Dort sei sie vielleicht sicherer als zu Hause, sagte sie. Danach wollte sie ins Theater, damit nicht ausgerechnet heute das Verlesen der Resolution ausfiele. »Das wäre ein ganz falsches Zeichen«, sagte sie. Ich bot ihr an, sie zu fahren, ihr war es aber lieber, wenn ich bei Robert blieb.
    Kurz vor sieben lagen wir uns in den Armen. Michaela streichelte meine Wange, ihre Handflächen waren kühl. »Ich beneide Amanda«, sagte Michaela und wollte mich küssen – da klingeltees. Wir erstarrten. Robert öffnete lautlos die Zimmertür. Wir sahen einander an und warteten. Auch das zweite Klingeln war kurz.
    Vor der Tür stand Schmidtbauer, der Gründer des Altenburger Neuen Forums, und plinkerte mit den Augen. Bei ihm waren ein kleiner Bärtiger mit Baskenmütze, der als einziger lächelte, und ein Mann mit langem Bart und einer Brille, die seine Augen um ein Mehrfaches vergrößerte. Ich kam gar nicht dazu, etwas zu fragen oder sie zu bitten, ihre Schuhe anzubehalten, so selbstverständlich marschierten sie in ihren Socken bei uns ein.
    Mir war der Anblick der neben dem Abtreter zurückgelassenen Schuhe unangenehm, ja peinlich. Außerdem ärgerte ich mich über die stumme Selbstverständlichkeit ihrer Invasion. Schmidtbauer hatte die »Sitzung« kurzerhand zu uns verlegt. Da wir kein Telephon besaßen, hatten ausgerechnet wir davon nichts erfahren.
    Im Vorraum wandte sich Schmidtbauer nach mir um.
    Ob wir uns dahin gehend verständigen könnten, daß der Sozialismus reformiert, aber nicht abgeschafft werden sollte.
    »Mit mir«, sagte ich, »müssen Sie sich nicht verständigen.«
    Am meisten ärgerte mich, daß Michaela sich von den dreien duzen ließ.
    Während ich ihnen die Teetassen hinstellte, sagte Schmidtbauer: »Hiermit eröffne ich die Sitzung des Neuen Forums Altenburg, Thüringen.«
    »Wieso Thüringen?« fragte der mit dem langen Bart und den großen Augen.
    »Da habe ich eine ganz einfache Antwort«, sagte Schmidtbauer. »Weil Altenburg in Thüringen liegt. Und mit Thüringen fühlen sich die Leute verbunden, da könnt ihr fragen, wen ihr wollt.« Dabei spielte er mit dem Druckknopf seines Kulis.
    Nur der mit dem langen Bart widersprach Schmidtbauer, alsdieser beantragte, die verschiedenen Arbeitsgruppen des Neuen Forums am morgigen Abend, dem Kirchenabend, noch nicht bekanntzugeben und abzuwarten, was Krenz unternehmen würde.
    »Was hat Krenz damit zu tun?« rief der lange Bart. »Kann mir bitte mal jemand erklären, was das mit Krenz zu tun hat?« Er sah der Reihe nach einen jeden mit seinen riesigen Augen an, zuletzt sogar mich.
    »Das kann ich dir erklären«, sagte Schmidtbauer. »Wir alle, so wie wir hier sitzen, du« – sein Kugelschreiber deutete zuerst auf Michaela –, »du, du und ich, können im nächsten Moment verhaftet werden. Wenn Krenz – laß mich ausreden –, wenn Krenz den Befehl gibt, dann Gnade uns Gott!«
    Der lange Bart meldete sich wie ein Schüler und sah Schmidtbauer unverwandt an. »Na, was denn«, murrte Schmidtbauer und richtete endlich seinen Kuli auf ihn.
    »Ich muß dich jetzt mal was fragen, Jürgen. Darf ich das?«
    Schmidtbauer nickte.
    »Bist du denn nicht stolz, im Neuen Forum zu sein?«
    »Was?« Schmidtbauer sah von einem zum anderen, als

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