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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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wußte Bescheid!). Dies, wie auch der Tee und der Krokantzucker, stammten von Verwandten aus Bremen, erklärte Larschen.
    Barrista bat um Vergebung für sein Eindringen, wurde aber von Larschen, für den er zu leise gesprochen hatte, mit dem Ausruf unterbrochen, wie sehr er sich freue, gleich zwei Gäste in seinem bescheidenen Haus begrüßen zu dürfen. Ja, geehrt fühle er sich, und begann eine Rede, die er offenbar vorbereitet hatte. Dabei hielt er eine Mappe im Arm und strich unentwegt darüber, als müßte er sie säubern und ihre Ecken glattbügeln. Mit geradezu beängstigender Offenheit schilderte er dann, was er den dramatischen Höhepunkt seines »kleinen Werkes« nannte, nämlich die gescheiterte Flucht in den Westen. Sie sollte ihm nicht nur eine Landwirtschaft nach eigener Vorstellung verschaffen. Mit ihr war auch die Erfüllung seiner Liebe zu einer verheirateten Frau verbunden. Denn diese Frau war nicht bereit gewesen, sich scheiden zu lassen, wohl aber mit ihm zu fliehen. Sie wurden verraten, verhaftet, verhört. Im Gerichtssaal erkannte er seine Liebste nicht wieder. Ihr Haar war schlohweiß geworden. Er kenne die Leute, die sie verraten hatten, ein Wissen, das ihm keine Stunde der verlorenen Jahre zurückgebe. Er empfinde dieses Wissen als zusätzliche Strafe. Mehrmals gebrauchte Larschen den Ausdruck »meine Wenigkeit« und fragte zum Schluß, ob ich denn bereit sei, einen Blick auf »seine Memoiren« zu werfen. Ich erinnerte ihn daran, daß ich ja deshalb gekommen sei. Barristas Wolf, der anfangs mehrmals wegen Larschens Redeweise – kaum ein Satz, den er nicht mit Nachdruck spricht – aufgeschreckt war, bewegte im Traum seine Pfoten.
    Als wir die Stiege hinunterkletterten, schlug die Standuhr elf Mal. Seit unserer Ankunft waren genau zwanzig Minuten vergangen.
    Barrista hatte für Larschen erneut zu leise gesprochen und war deshalb ohne Antwort auf seine Frage geblieben, ob er, Barrista, das Manuskript ebenfalls lesen dürfe. »Wenn es nur halb so gut ist wie seine Erzählung«, sagte er, »müssen Sie es drucken!« Er meinte sogar, wir sollten ein Buch daraus machen. Barrista dankte mir überschwenglich. Ich könne mir gar nicht vorstellen, wieviel ihm diese Begegnung bedeute. Und ob ich den Stopfpilz gesehen habe? Der habe ihn regelrecht gerührt. Er selbst habe auch immer Stopfzeug dabei, nicht weil er sich keine neuen Socken leisten könne, sondern weil ihn Stopfen beruhige, ihn an die Abende seiner Kindheit erinnere und ihm die besten Ideen beschere. Er schilderte mir ausgiebig seine vergebliche Suche nach einem Stopfpilz. Weder in Kaufhäusern, Kurzwarenläden, ja nicht mal im Trödelladen habe man ihm helfen können, bis sich eine Verkäuferin seiner erbarmt und ihm einen Stopfpilz von zu Hause mitgebracht habe.
    Als ich Barrista in Altenburg absetzen wollte, fragte er, ob etwas dagegen spreche, daß er mich weiterhin begleite. Für ihn sei alles interessant, was ich zu tun habe, sagte er, ausnahmslos alles! Und so tauchte ich nun überall mit meiner kleinen Gesellschaft auf, im Rat der Gemeinde von Rositz, im Rathaus von Meuselwitz, ich stellte Barrista den Sekretärinnen vor und machte ihn in Wintersdorf sogar mit dem Bürgermeister bekannt. Der Wolf blieb im Auto, und ich genoß die Freiheit – durch Barrista dazu ermuntert –, den Zündschlüssel steckenzulassen. Er hat recht. Man bewegt sich tatsächlich anders.
    Auf der Rückfahrt drängte mich Barrista, hinter Rositz rechts abzubiegen, er wollte mir eine Entdeckung zeigen.
    Was ich zu sehen bekam, war trostlos: ein von Unkraut überwucherter Fußballplatz, daneben eine Baracke mit dem Schild »Schiedsrichterklause«, vor Fenster und Türen weiße Gitter, weit und breit keine Menschenseele. Barrista schritt in seinen altmodischspitzen Stiefeln voran, und obwohl ihm sein linkes Knie weiterhin zu schaffen machte, übersprang er behend die wenigen Stufen der kleinen Veranda, öffnete die Gittertür und trat ein. Ich traute meinen Augen nicht. Das Innere war als Waldschenke hergerichtet, weder die Holztäfelung noch die zahlreichen Gäste paßten zu dem armseligen Äußeren. Barrista zog den Mantel aus, klopfte leutselig auf jeden Tisch, grüßte zum Tresen und schob sich auf die Eckbank des Stammtischs. Kaum daß ich saß, stand ein Bier vor mir. Am merkwürdigsten aber war, daß der Wirt, ein Kahlkopf, den Wolf »Astrid« rief. Und Astrid trottete, ohne nach links oder rechts zu schauen, durch die aufgehaltene Küchentür. Barrista

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