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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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in unsere Wohnung eskortiert worden. Die beiden hatten darauf bestanden, das von der Schule genehmigte Gesuch mit der Bitte um meine Freistellung zu sehen. Darin stand nichts von Auszeichnungsreise. Trotzdem waren wir irritiert, hatte meine Mutter doch, um Neid zu vermeiden, diese Formulierung erwogen. Wurden wir abgehört? Steckten Wanzen unter der Tapete? Die Lösung war banal. Der einzige Offiziersanwärter unserer Klasse hatte unlängst bei uns übernachtet, weil unsere Wohnung nicht weit vom Flughafen entfernt lag. Wir beide vertraten unsere Klasse in einem Jubelkomitee, das sich für die Ankunft eines ausländischen Bonzen bereithalten sollte (der aber nie gelandet war). Offenbar hatte die Wachsamkeit meines Mitschülers den Fehlalarm ausgelöst.
    Am nächsten Tag hoffte ich bei jedem Klingklong, das den Ansagen des Flughafenlautsprechers vorausging, unsere Namen zu hören. Doch ich hoffte vergeblich.
    Erst viel später erkannte ich in dem Irrtum der Staatssicherheit den eigentlichen Reiz dieser unfreiwilligen Begegnung. Damals schämte ich mich fast dafür, wegen unbegründeter Verdächtigungen verhört worden zu sein, weshalb ich diesen Vorfall literarisch auch nie verwertet habe.
    Ich grüße Sie herzlichst
    Ihr Enrico
     
    PS : Georg hört auf. Ich übernehme seinen Part. Kein böses Wort ist gefallen, Erleichterung auf allen Seiten. Wir suchen eine neue Bleibe.

 
     
    Donnerstag, 5. 4. 90
     
    Lieber Jo!
    Gestern präsentierte mich Jörg als Kompagnon, er sprach ernst und mit ungewohnt langen Pausen, was seine druckreifen Sätze noch mehr zur Geltung brachte. Obwohl eigentlich alles, was er sagte, bekannt war, wagte niemand, dieses Ritual zu stören, und sei es nur durch ein gelangweiltes Gesicht. Marion saß aufrecht und nickte mir zu, als wollte sie sagen: Courage, Enrico, Courage! Ilona drückte ihre knochigen Knie aneinander und strich unentwegt über den Saum ihres karierten Minirocks. Sie und Fred sind offenbar besonders empfänglich für Ansprachen dieser Art und wetteiferten um den würdevolleren Gesichtsausdruck. Kurt, Freds Gehilfe und Ausfahrer und als Mitglied eines Photozirkels unser Filmentwickler und gelegentlicher Photograph, saß reglos mit verschränkten Armen da. Von ihm habe ich noch nie einen vollständigen Satz gehört. Wenn wir uns sehen, hebt erdie Hand zum Gruß und beantwortet jede Frage mit »gut« oder »könnte besser gehen«. Vor Kurt ist alle Arbeit gleich. Würdest Du ihn bitten, die Fenster zu putzen, er besorgte sich auf der Stelle Eimer, Wischtuch und Zeitungen und würde erst aufhören, wenn alle Fenster glänzten. Die »Wismut« hat ihn ausgemustert und dem Krankenhaus als Nachtportier überlassen. Ich weiß nicht, wann er eigentlich schläft.
    Außerdem hatten wir Pringel, einen unserer Freien, hinzugebeten. Ich habe ihn in Leipzig kennengelernt, er hat die Betriebszeitung der »Lufttechnischen Anlagen« gemacht, ein perfekter Korrekturleser. Weil er mollig und untersetzt ist, kann er die Beine nie längere Zeit übereinandergeschlagen halten, was ihm aber wichtig zu sein scheint; also wechselt er ständig, weshalb von ihm eine merkwürdige Unruhe ausgeht. Pringels Bart wuchert mit jedem Tag wilder, die Einhegung seines Kindergesichts.
    Jörg sprach viel von Verantwortung und dem Risiko, das wir beide uns nun teilen würden. Er verpflichtete alle zu Diskretion, was Inhalte und Zahlen betreffe, insbesondere jetzt, da wir nächste Woche mit der Ankündigung des Erbprinzenbesuches aufmachen werden.
    Jörg wird uns nach außen vertreten, ich werde mich um die Interna kümmern, das Redaktionelle entscheiden wir gemeinsam.
    Dann war es an mir, ein paar Worte zu sagen. Kaum war ich fertig, fragte Fred, was sich denn ändern werde? Er war gereizt, weil Jörg ihn im Gegensatz zu Ilona nicht bei den Redaktionssitzungen dabeihaben will.
    Obwohl ich niemandem eine Antwort schuldig blieb, war ich froh, als die Versammlung vorbei war.
    Der Baron hat Jörg, Marion und uns für nächste Woche in den »Wenzel« eingeladen. Er bat mich inständig, diesmal meine Frau nicht wieder zu verstecken.
    In seinem neuen Wagen – den alten darf ich behalten, bis ich mir einen eigenen kaufen kann 151 – unterhielten wir uns noch eine Weile. Er müsse zugeben, die Spielregeln im Osten nicht zu kennen, aber je länger er über die Tatsache nachdenke, daß mir die Hälfte der Firma regelrecht aufgeschwatzt worden sei, desto weniger könne er umhin, einen Haken zu suchen, der, gerade weil er so

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