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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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Freds Gerede von Einheimischen und Dringlichkeit noch um das Getöne des anderen. Er lächelte Piatkowski an.
    Die hochaufragende Gestalt, da sie uns nicht hatte abschütteln können, redete nun ungemein freundlich und verbindlich auf Piatkowski ein, hielt sich an dessen Seite und schlüpfte als erste in das Dunkel, das sich hinter dem geöffneten Flügel des Holztores auftat. Seine Stimme hallte, als er die uralte Pflasterung pries. »Phantastisch!« rief er. »Phantastisch!« Seine Schritte entfernten sich und kehrten schnell zurück. »Was ist?« fragte er Piatkowski. »Warum kommen Sie nicht?«
    Der Baron war vor Piatkowski stehengeblieben, hatte ihn angesehen und dann uns gemahnt: »Halten Sie die Augen auf, bei Mängeln werden wir Mietminderung beanspruchen.«
    Das Haus besteht ausschließlich aus Mängeln, die hochaufragende Gestalt jedoch fand alles faszinierend, hinreißend und »eine spannende Geschichte«: die Hufschmiede im Hinterhof, in der unter zerbrochenen Dachziegeln, Staub und Katzenkot ein Amboß samt Holzfuß stehen geblieben ist, das Fachwerk – unbedingt erhaltenswert – und immer wieder das Pflaster, das bei jeder Erwähnung um ein Jahrhundert alterte.
    Piatkowski lehnte am Treppenaufgang und lutschte Drops. Das Haus hatte seinen Schwiegereltern gehört, einmal habe es einen Gemüseladen hier gegeben mit den besten Beziehungen zur Altenburger Bauernschaft und bis weit hinein ins Sächsische. Sie selbst, Piatkowski und seine Frau, hätten nichts davon gehabt. Ständig habe es Streit mit den Leuten wegen der Miete gegeben. Jetzt gehöre die Bruchbude vier Geschwistern, da bleibe sowieso nichts hängen. Unten die Haushaltswaren, ganz oben, unterm Dach, ein Ehepaar, Flüchtlinge damals, aus Schlesien, die Stadt sei voll von denen. »Ah«, sagte die hochaufragende Gestalt, »Schlesien«, und knöpfte den Mantel zu.
    Das Treppenhaus ist zugig und dunkel wie ein Kamin, das Licht funktioniert nicht. In der ersten Etage, von einem kleinen Vorraum aus, führen zwei Türen zu den zur Straße gelegenen Zimmern. Das rechte und kleinere ist doppelt so groß wie unsere Redaktionsstube. Die linke Tür öffnet sich auf einen beinah saalartigen Raum mit hohen Fenstern, an den sich ein weiterer, fast ebenso großer Raum anschließt.
    »Bei solchen Fenstern können Sie ja gleich auf die Straße ziehen!« Der Baron steckte eine Fingerkuppe in den Mund und hielt sie vor die Scheiben, als wollte er die Windrichtung bestimmen. »Das ist ja eine schöne Bescherung, die Sie uns hier anbieten«, rügte er Piatkowski, der tief durchatmete und zweimal nickte. »Ich nehm es! Wie es ist! Mit dem Laden unten! Abgemacht, Herr Piatkowski?! Abgemacht!?« Die hochaufragende Gestalt gestikulierte wild.
    »Schauen Sie erst mal, was noch kommt«, antwortete Piatkowski und warnte Fred, der eine verzogene Tür mit Gewalt aufgedrückt hatte. »Dort wird’s gefährlich, da lassen Sie mich mal!«
    Wir betraten einen langen fensterlosen Gang. Nach links öffnet sich eine Tapetentür in den Vorraum, so daß man im Kreis laufen kann. Auf der rechten Seite liegen Kammern – Stauraum, wie Fred befand.
    Plötzlich wurde es wieder hell. Der Gang endet an einem Zimmer, dessen Fenster auf den Hof hinausgehen, dahinter die Rückseiten der Markthäuser.
    Piatkowski blieb im Türrahmen stehen. Das kleine Gemach, das ich am liebsten gleich bezogen hätte, ist baupolizeilich gesperrt, Fußboden und Außenwand sind einsturzgefährdet. Jeder durfte hineinsehen, bevor wir den dunklen Rückweg antraten.
    »Lieber Herr Piatkowski, dafür wollen Sie tatsächlich Miete? Wenn das meine Lebensversicherung erfährt!« Der Baron riefseinen herumschnüffelnden Wolf zurück. Selbst die hochaufragende Gestalt blieb diesmal still.
    »Das ist Bauschutt!« rief der Baron. »Ganz einfach Bauschutt!«
    Mit der bisherigen Miete sei kaum der Schornsteinfeger zu bezahlen gewesen. Jeden Pfennig hätten sie ins Dach gesteckt, entschuldigte sich Piatkowski.
    »Und jetzt wollen Sie mehr Miete? Wem soll ich denn das verklickern?«
    Die hochaufragende Person rief: »Ich nehme es!«
    »Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Piatkowski.
    »So hören Sie doch! Ich nehme es!«
    »Gehen wir mal höher«, riet Piatkowski. Wir warteten, um die bewährte Reihenfolge einzuhalten, doch die hochaufragende Gestalt scherte aus. Er sei nicht mehr gewillt, dieses Theater mitzuspielen. Er miete für ein Jahr, und damit gut. Über den Preis würden sie sich wohl einig werden.
    »Ich

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