neue SF 1
hätte, wobei die dramatische Ebene die symbolische oder allegorische Ebene ergänzt, indem er die Phantasiebilder als Symbole benutzt, mit denen er das Thema ausdeutet, und so weiter – unter Einsatz aller Hilfsmittel des traditionellen Romanautors. Vierzehn Stationen auf der Northern Line würde dann heißen Die Nord-Linie (wobei natürlich die Richtung eine Bedeutung hätte), würde mindestens 60 000 Wörter umfassen und etwa soviel kosten wie diese ganze Sammlung. Das Ergebnis wäre zweifellos weniger langweilig als die meisten Romane, weil Mr. Gordon lebhaft und beherrscht schreibt, aber der Roman könnte unmöglich den Effekt der konzentrierten Version haben, die Sie hier lesen können. Mr. Gordon vermittelt uns hier also nicht nur den Gegenwert von 60 000 Wörtern (im alten Stil) für einen Bruchteil des Preises, er unterhält uns auch erheblich besser, weil er die Postulate seines Stoffes nicht ad nauseam erkundet; er regt vielmehr unsere Phantasie an und läßt uns über diese Postulate dann nach Belieben nachdenken, wenn wir dazu aufgelegt sind.
Dieser Impuls, das Material in konzentrierter Dosis ohne großen Kommentar zu präsentieren (wenn auch mit beträchtlichem Können, denn es geht ja darum, die Katharsis hervorzubringen, die von guter Literatur erwartet wird, wenn auch nicht notwendigerweise auf dem traditionellen Wege), ist den meisten Autoren dieser Sammlung gleich. Treffpunkt Peking ist zweifellos aus dieser Absicht heraus entstanden.
Formen und Stoffe unterscheiden sich natürlich sehr. George MacBeths ›vorfabriziertes‹ Gedicht ist ein deutliches Beispiel für den beschriebenen Impuls zu einer Darstellung ohne äußeren Kommentar. In diesem Fall weist das Gedicht auf unsere irgendwie primitive Neigung hin, leblosen Objekten Eigenschaften des Lebendigen zuzuschreiben, besonders den Automobilen, doch zunehmend auch automatischen Maschinen und Computern (ein traditionelles Thema der SF).
James Sallis’ Die Angst im Auge der Grille hat insofern einen ungewöhnlichen Ursprung, als der Autor teilweise von der Hauptfigur und den Schreibtechniken von Treffpunkt Peking und anderen Jerry-Cornelius-Stories angeregt wurde, und kann als Fortsetzung (oder besser: als Alternative) dazu angesehen werden. Sallis verkehrt einige der Techniken ins Gegenteil, um eine kontemplative ›internalisierte‹ Stimmung zu erzeugen, während die andere Story hauptsächlich in Begriffen von Handlung und Oberfläche konzipiert ist. Wieder führt Sallis ein kritisches Thema ein (»Du hat eine perverse Neigung zu vieldeutigen Antworten, Jerry«, sagt Cornelius’ Freund Michael), das, obwohl es erkennbar ist, nicht auf die eigentliche Story übergreift, und das, bliebe es unerkannt, die Story nicht verderben würde.
In dem Interview mit George MacBeth faßt J. G. Ballard die Ansichten der Autoren zusammen, die als Autoren neuer SF bekannt geworden sind oder als die NEWWORLDS -Gruppe, wenn er sagt, daß er nicht mehr zufrieden war mit den – für ihn – ›linearen‹ Erzählsystemen, »einfach weil ich meine, daß unser Leben [jetzt] nach nichtlinearen Begriffen verläuft«. Ein moderner Schriftsteller, der aktiv mit der Gegenwart befaßt ist, muß oft eigene Ausdrücke erfinden, weil die konventionellen Möglichkeiten für ihn nicht stimmen (ihn sogar hemmen). In diesem Sinne ist er ›experimentell‹, obwohl er dabei vielleicht Techniken wiederentdeckt, die schon von Autoren vor ihm benutzt und dann aufgegeben wurden (im Gegensatz zu den sogenannten englischen ›experimentellen‹ Autoren liegt ihm nicht an Originalität um ihrer selbst willen, er versucht sich tatsächlich mit neuen Stoffen abzugeben). Robert Conquests Ablehnung dieser Schriftsteller – auf der Arts Festival SF-Konferenz in Brighton 1968 –, die »lediglich die Experimente der 20er und 30er Jahre wiederholen«, ging völlig am Kern vorbei. Er erwähnte Isherwood als einen Mann, der das experimentelle Schreiben aufgegeben habe, weil er die konventionellen Methoden völlig ausreichend finde. Dabei ging es natürlich darum, daß Isherwood im Umgang mit konventionellen Themen keiner unkonventionellen Techniken bedurfte und vernünftigerweise darauf verzichtete. Die traditionellen Techniken des zwanzigsten Jahrhunderts – wie etwa die des klaren Bewußtseinsablaufes – waren für seine Zwecke völlig ausreichend, genügen aber nicht automatisch auch denen von uns, die sich doch mit etwas anderen Zielen abmühen.
Wo die traditionellen Techniken
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