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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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feststellte, daß es ihm eigentlich völlig scheißegal war, ob er ins Bremer Eck ging oder in irgendeine andere Kneipe, am Ende sind sich ja alle Kneipen gleich, genau wie die Hansestädte, dachte er gut gelaunt und ging in die nächstbeste Kneipe, die er sah, es war die einzige in der Lübecker Straße, was die Entscheidung leicht machte, und sie hieß Buddenbrooks, und das, dachte Frank, ist schon mal erheblich einfallsreicher als zum Beispiel Bremer Eck und Zum Steinernen Kreuz, endlich mal jemand, der sich ein bißchen Mühe gibt, dachte er und ging hinein.
    Auch innen drin hatten sie sich beim Buddenbrooks Mühe gegeben, jedenfalls hatten sie unendlich viele Kerzen angezündet, und die Kerzen waren, von einigen Scheinwerfern, die eine kleine Bühne beleuchteten, einmal abgesehen, die einzige Lichtquelle. Auf der Bühne saß eine vierköpfige Gruppe und machte mit allerhand Saiteninstrumenten Folklore. Gerade als Frank hereinkam, begann eine Frau zu singen, und Frank wäre gern gleich wieder hinausgegangen, aber das traute er sich nicht, das kam ihm zu unhöflich vor, zumal es im Buddenbrooks, so weit er sehen konnte, deutlich mehr Kerzen als Menschen gab, es verloren sich höchstens drei oder vier Gestalten in der weihnachtlichen Düsternis des Kneipenraums, und sowenig er jetzt auch Folkmusik von der Art, wie sie hier geboten wurde, gebrauchen konnte, sowenig wollte er andererseits dafür verantwortlich sein, daß die Musiker mit seinem Weggang gleich wieder zwanzig Prozent ihres Publikums verloren, die brauchen doch auch jeden Mann, dachte er und fand es deshalb auch nicht weiter verwunderlich, daß die Sängerin, die zugleich auch eine Art Hackbrett spielte, ihm zulächelte und zunickte, als er quer durch den Raum zum Tresen ging. Er ließ sich ein Altbier aufschwatzen und ging damit zurück in die Nähe des Ausgangs, um dort in Ruhe und so weit wie möglich von der Musik entfernt das Bier zu trinken, eine Zigarette zu rauchen und dann in einem günstigen Moment wieder zu verschwinden.
    »Lehmann!« rief es leise zu ihm herüber, als er schon fast sein Ziel erreicht hatte. Er blickte sich um und sah einen Mann winken, der mit dem Rücken zur Wand hinter einer Kerze saß und schwer zu erkennen war.
    »Lehmann«, rief der Mann wieder. »Hut ab im geschlossenen Raum.«
    Frank faßte sich automatisch an den Kopf. »Ich habe doch gar nichts auf«, sagte er und erkannte den anderen in diesem Moment wieder, es war Koch, der Obergefreite Koch, der ihm alles über Betriebsstoffe und die Sitten und Gebräuche in der Nachschubkompanie 210 beigebracht hatte und der vor etwa sieben Wochen mit den Worten »Null, ihr Kisten« von ihnen gegangen war. Seine Haare hatte er sich seitdem nicht mehr schneiden lassen, und sein Bart war außerordentlich verzottelt.
    »Koch«, sagte Frank.
    »Lehmann«, sagte Koch.
    »Koch«, sagte Frank und wußte nicht genau, was er jetzt tun sollte.
    »Was machst du denn hier? Setz dich!« sagte Koch.
    Frank setzte sich neben ihn. In diesem Moment hörte die Gruppe auf zu spielen. Koch klatschte laut in die Hände und rief »Bravo!« und Frank klatschte mit, damit er dabei nicht so allein war. Die Sängerin schaute zornig zu ihnen herüber. Koch warf ihr eine Kußhand zu.
    »Ist sie nicht wunderbar«, rief er.
    »Wer?«
    »Die Frau natürlich!«
    »Kennst du die?«
    »Das ist quasi meine Freundin, Lehmann!«
    »Ach so.«
    »Wie findest du die Musik, Lehmann?«
    »Das ist Spitzenmusik.«
    »Ja, nicht wahr? Ganz groß ist das!«
    Die Gruppe begann wieder zu spielen.
    »Wie läuft’s denn so in der Kompanie?« fragte Koch. »Nicht, daß es noch besonders wichtig wäre, aber wo du schon mal da bist … «
    »Geht so«, sagte Frank. »Du weißt ja, wie es ist.«
    »Ja.« Koch trank einen Schluck Bier. »Obwohl, ehrlich gesagt«, sagte er und schaute interessiert dabei zu, wie Frank sich eine Zigarette drehte, »ehrlich gesagt habe ich das eigentlich alles schon vergessen. Die ganze Bundeswehrzeit. Komplett weg.«
    »Könnte ich nie«, sagte Frank. »Könnte ich nie vergessen.«
    »Wart’s ab«, sagte Koch, »wart’s ab. Manchmal träume ich noch, ich müßte nachdienen, das ist dann kein schöner Traum.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte Frank.
    »Aber was du da machst, ist auch nicht gerade schön«, sagte Koch und zeigte auf die Zigarette, die Frank sich gerade fertiggedreht hatte.
    »Ich mach das noch nicht lange«, sagte Frank. Er steckte sich die Zigarette an und hob sein Bier. Koch und er

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