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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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zu, auf dem der Thron stand, blieb wieder stehen, von widerstreitenden Gefühlen heimgesucht. Ihre wollüstige Haltung erregte seine ganze angestaute Lustbereitschaft, die durch den Besuch des Menschenmädchens in seiner Zelle einen Auslöser gefunden hatte. Die Tatsache, dass das Gesicht der Frau durch den Brokatvorhang verborgen war, wirkte gleichzeitig verführerisch und verstörend. Er fand sich nicht zurecht; geschwächt durch den Blutverlust, im Denken halb betäubt durch den Mangel an menschlicher Ansprache, die Sinne beeinträchtigt durch den Verlust des Zeitgefühls. Er schwankte ein wenig.
    Die Königin sprach erneut durch den dicken Vorhang hindurch.
    »Ich bin die Königin der Stadt ohne Namen.« Ihre Stimme klang tief und vielschichtig, als setze sie sich aus vielen Stimmen zugleich zusammen.
    »Es gibt keine Königin«, sagte Josh beharrlich. »Gabriel hat mir gesagt, es sind nur Computer, es sind …«
    »Gabriel hat gelogen, um mich zu schützen. Es gibt eine Königin, und die bin ich, wie du sehen kannst, wie du sehen kannst. Aber wir wollen nicht streiten. Gehen wir, denn ich habe dich fünf Jahre und länger gesucht.«
    »Du hast mich gesucht? Warum? Was meinst du damit?« Diese Behauptung erschreckte Josh mehr als alles andere vorher – von dieser rätselhaften Frau zu hören, dass sie seit fünf Jahren nach ihm gesucht hatte.
    »Weil du fragst, will ich es dir sagen, und weil du jetzt mein bist, mir gehörst, mir gehörst, und nicht fliehen kannst, wie du siehst.« Sie lachte, ein raues Lachen, ein flüsterndes Lachen, das verdorrte Lachen abgestoßenen Laubes. »Diese ENGEL, diese Neuromensch-Genetik-Erfinder, haben mich konstruiert. Das ist die Geschichte meiner Gattung, von der ich das einzige Exemplar bin. Ein exemplarisches Exemplar. Exemplarisch vor meiner Zeit; die Zeit als Exempel. Oder exemplarisch? Exemplum? Ich weiß nicht mehr. Ich Weiß-Nicht – bald nicht-gewusst. Und ein Exemplar ist nur ein Teil, und ich bin viele Teile, und heute werden die Teile benannt, das Teilen so traurig. Aber ich schweife ab. Welcher Schweif kann das sein?«
    Sie war gewiss von Sinnen. Josh hatte noch nie solches Gefasel gehört, so bedeutungsvoll vorgebracht.
    »Ich –«, begann er.
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, unterbrach sie ihn. »Meine Geschichte ist nicht immer leicht zu verstehen, denn ich bin das Reich und die Kraft und die herrliche begehrliche Verehrliche. So haben sie mich konstruiert, diese Genetik-Konstrukteure, dieses einzigartige Wesen, das du vor dir siehst oder beinahe siehst, wie du siehst, damit ich einzigartige Denkkraft habe und herrsche und Märsche, um ihre Ziele zu fördern, ihre Träume wahrzumachen. Aber trotzdem steuern sie mich. Denn sie haben mich so konstruiert, dass ich von einer einzigen synthetischen Nahrungsquelle abhängig bin, die allein sie herstellen und mir zuteilen können. Teil, geil, feil. Steil. Heil. Seelenheil.
    Seelen. Ich bin viele Seelen geworden. Er und sie und ich und wir, wie du siehst, wie du siehst. Unser Geist ist groß, uns soll nichts mangeln, das Wort ist eins. Ich habe gelernt, weißt du, mein substantielles Gehirn, Substantia nigra, Locus ceruleus, blauer als Blauleus, anderen, kleineren Gehirnen anzuschließen.
    So ist weniger mehr. Wir küssten uns, die anderen Gehirne und ich, die weniger substantiellen ätherischen, berührten uns mit Dura mater, Pia mater, graue Materie, schmolzen mit Drähten, stolzen Fäden, Geräten, späten, täten. Wie du siehst.«
    Sie schwieg einen Augenblick. Wieder ertönte das heisere Lachen.
    Ihre Redeweise hatte einen gewissen Rhythmus, der Joshua in seinen Bann zog, obwohl er kaum die Hälfte dessen verstehen konnte, was sie sagte. Aber der Takt bannte ihn und nahm ihn mit.
    »Ich weiß jetzt nicht«, begann sie von neuem. »Dinge, die ich deinem geschrumpften Gehirn, geschrumpften Gehirn nicht erklären kann. Ich bin nicht die Addition all der Gehirne, mit denen ich mich vereinige, ich bin ihre Multiplikation, die Summe ihrer Potenzen wie die Potenz ihrer Summe. Ich … kann sehen!
    Aber noch immer halten die schwächlichen ENGEL die Zügel, denn sie bestimmen über meine Nahrung. Engel der Unbarmherzigkeit, ich muss tun, was sie verlangen. Aber leise! Welch Licht bricht durch jenen Schaltkreis? Denn siehe! Eines Tages, als ich adrenergetische Verbindungen im Gebiet zwischen meinem roten Kern und dem Medial-Longitudinal-Faszikulus untersuchte, entdeckte ich ein rezessives Merkmal, das die

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