Neue Zeit und Welt
der Außenwand – dem Meer zugewandt, also im Rumpf des Schiffes – brachen rasch hintereinander unter Getöse auf. Zuerst entstand ein kleines Loch, dann ein größeres, bis schließlich eine weite Öffnung in der Rumpfwand klaffte, am unteren Rand unterhalb der Wasserlinie, so dass Salzwasser hereinströmte. Beauty starrte durch die Öffnung entgeistert auf das kleine Segelboot, das vor der eingedrückten Bootswand schaukelte. Im Boot stand grinsend D’Ursu Magna, den größten Schmiedehammer in den Händen, der Beauty je zu Gesicht gekommen war.
D’Ursu sprang in den rasch vollaufenden Frachtraum, stürzte im sprudelnden, gischtigen Wasser, raffte sich blitzschnell auf und durchschnitt Beautys und Abas Fesseln. Wieder hinauszuspringen war schwerer – der Wasserschwall, der von außen hereindrang, wurde immer mächtiger –, aber auf irgendeine Weise gelang es allen dreien. In der Dunkelheit konnte auf dem Schiff niemand ein Ziel finden, außerdem war man vollauf damit beschäftigt, diesen Teil des Frachtraums abzudichten und das große Loch im Schiff eiligst zu reparieren. Bis D’Ursus kleines Boot fünfzig Meter weit in Richtung der Hafenmündung gekommen war, legte sich die ›Tai-Phung‹ schon ein wenig auf die Seite.
Bevor das Boot die Hafeneinfahrt erreichte, hatte Beauty dem Vampir die Schulter wieder eingerenkt. Und bis das Segelboot auf offener See schwamm, hatten die drei Kameraden sich soweit beruhigt, dass sie einander alles erzählen konnten, was ihnen zugestoßen war.
»Der Arzt war nicht bei Sinnen«, knurrte D’Ursu. »Ich musste da weg. Er wollte mir nicht sagen, wo ihr hingegangen wart – Menschen tun gern geheimnisvoll, ihr wisst ja –, aber ihr hattet eine Witterung hinterlassen, die sogar die stinkende Stadt nicht überdecken konnte. Bis zum Abend konnte man dann überall davon reden hören, dass ein Zentaur und ein Vampir von der Besatzung der ›Tai-Phung‹ gefangen genommen worden seien. Da wusste ich, dass ich euch wieder aus der Patsche helfen musste.«
»Aber woher hast du nur das Boot?« fragte Beauty staunend. »Ich habe überall stundenlang herumgefragt – keiner wollte vermieten.«
»Vermieten?« D’Ursu sah ihn schief an. »Auch so eine Menschenerfindung. Das Boot habe ich mir einfach genommen. Der furchtbare Gesang verriet mir, wo ich euch finden konnte – und die Bordwand mit dem Eisenhammer einzuschlagen, hat richtig Spaß gemacht. Das war alles.« D’Ursu brüllte vor Lachen.
Die anderen lachten auch, bevor sie ihre Wunden im Meerwasser, in der kühlen Nachtluft, im Gelächter der tanzenden Sterne badeten, während das kleine Boot nach Süden fuhr, der Dunkelheit an der Mündung des Stickflusses entgegen.
Kapitel 6
Königin schlägt Springer;
Springer ermattet
J oshua erstarrte, als seine Zellentür aufging. Sein Hals war von wiederholten Vampirbissen blau und grün, seine Haut war fahl vom Blutverlust ebenso wie vom Schrecken. Aber diesmal kam kein Vampir oder Neurowesen herein. Es war ein Mensch.
Ein Mädchen. Nackt. Zerbrechlich, mit rasiertem Kopf. Aus ihrem Hinterkopf ragte ein dickes, schwarzes Kabel, das bis zum Boden hinabhing und zur Tür hinausreichte. Sie trug eine Silberschale voll Flüssigkeit.
Josh versuchte aufzustehen, war aber durch den Blutverlust zu ermattet.
»Nicht aufstehen«, sagte das Mädchen. »Du musst sehr schwach sein.« Ihre Stimme klang dünn und brüchig, so, als sei sie selten in Gebrauch.
»Ja, das bin ich«, erwiderte er. Sie verstand ihn. Sie war wie er. »Wer bist du?« fragte er.
»Ach, nur ein kleines Teilchen.« Sie begann sein Hemd aufzuknöpfen.
»Ein Teilchen wovon?« Er war zu erschöpft, um sich zu wehren, gleichgültig, was sie vorhaben mochte, und blieb liegen.
»Ein kleines Teilchen der Königin. Sie hat mich natürlich ganz.« Sie zog ihm das Hemd aus, öffnete die Hose.
»Aber es gibt doch keine Königin«, widersprach er schwächlich. »Das seid nur ihr armen, bedauernswerten Sklaven, wie Tiere an den Computer der Neuromenschen angeschlossen.«
Sie zog ihm die Hose aus und drückte ihn auf das Bett zurück. Sie war kräftiger, als ihre schmächtigen Arme vermuten ließen.
»Nun, ich bin in direkter Verbindung mit der Königin – jedenfalls mit der Königin in mir –, und wir lachen über deine Unschuld. Ha, ha, ha.«
Sie nahm einen Schwamm aus ihrer Silberschale und begann ihn mit der klaren, duftenden Flüssigkeit abzuwaschen. Das fühlte sich kühl und beruhigend an. Josh
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