Neues Glück für Gisela
näherte sich ihr. „Ja, Gisela, bist du es wirklich?“
Eine schlanke, starke Hand drückte die ihre. Zwei blaue Augen lächelten sie an. „Ach, Andreas, du bist hier?“
„Wie du siehst. Bist du allein? Ich auch. Können wir uns nicht zusammen einen Tisch nehmen?“
Mit einem Male fühlte Gisela, wie eine sichere Ruhe über sie kam. Dieselbe Ruhe, die sie immer in Andreas’ Gesellschaft gefühlt hatte. Andreas war nicht anstrengend, er war munter und freundlich. Er sprach von Dingen, mit denen sie vertraut war, von Menschen, die sie kannte. Es gab keine Probleme, wenn sie mit Andreas zusammen war.
Sie tranken später zusammen Kaffee an dem großen Kamin, und die gute, sichere Ruhe verließ Gisela nicht. Es war, als ob sie aufatmete, wie nach einer großen Anstrengung.
Vom Tanzsaal im Keller hörte man Musik. Andreas lächelte ihr zu: „Wollen wir hinuntergehen, Gisela?“
Festlich gestimmtes junges Volk, Abendkleider, Smokings, eine Bar mit klirrenden Gläsern.
Wohlhabende Menschen, Menschen in Stimmung. Ein Milieu, das Gisela seit ihrer Kindheit vertraut war. Menschen, für die Geld keine Rolle spielte. Menschen, die sich alles leisten konnten, wozu sie Lust hatten. Menschen aus ihrer eigenen Welt.
Gisela zwang sich dazu, dies alles furchtbar gemütlich zu finden. Sie sagte sich selbst, bewußt und intensiv, daß dies eine herrliche Entspannung sei, und eigentlich passe sie viel besser hierher als nach Hoyfoss. Sie zwang sich dazu, eine andere, aufdringliche Stimme in ihrem Inneren zu unterdrücken.
Sie tanzte mit Andreas. Sie kannten sich und sie tanzten gut zusammen. Viele Gäste bemerkten das schöne Paar auf dem Parkett.
Sie trafen Bekannte und Freunde der Bekannten. Die Stimmung stieg, und Giselas Lachen klang am lautesten. Andreas sah sie forschend an. Diese Gisela kannte er nicht. Dieses unnatürliche Lachen, diesen hektischen Ausdruck, diese unechte Fröhlichkeit.
Andreas wurde immer schweigsamer.
Aber der Abend war für Gisela eine größere Anstrengung, als sie es sich selbst eingestand. Jedenfalls hatte er sie redlich müde gemacht.
Sie schlief sofort ein, kaum daß sie den Kopf aufs Kissen gelegt hatte.
Munterkeit beim Frühstück, Skitouren in glitzerndem Schnee, frohe, sorglose Jugend. Tausend lustige Einfälle, harmloser Unsinn, gutmütige Neckerei. Abendessen mit Wein auf allen Tischen und vielen guten Gerichten. Nur alles mitmachen! Nur jung und fröhlich sein! Nur nicht dumme und sentimentale und nutzlose Gedanken aufkommen lassen!
Gisela lachte und scherzte und war eine der eifrigsten, als der Silvesterabend geplant wurde. Die Jugend wollte ein Kostümfest haben. Großartige Idee! Genau das richtige!
Gisela hatte kein Kostüm mit. Aber mit Hilfe einiger bunter Tücher und einer Bluse mit aufgerollten Armein verwandelte sie sich in ein ziemlich echtes Apachenmädchen.
Andreas trat als Seeräuber auf. Die Stimmung war gleich von Anfang an auf der Höhe. Die Uhr näherte sich zwölf.
Gisela war den ganzen Abend in einer seltsamen hektischen, blankäugigen, atemlosen Stimmung gewesen. Nun wurde sie mit einemmal schweigsam. Die Gedanken, die sie unterdrückt hatte, die nicht hervorkommen durften, die brachen nun hervor, ungehemmt und außer Kontrolle. Siebeneichen. Silvesterabend auf Siebeneichen. Nun hätte sie da sein sollen. Sie hatte versprochen, an Silvester dort zu sein und sich etwas extra Lustiges für diesen Abend auszudenken. Silvester! Um zwölf, beim Schlag der Uhr würde sie Willi für das alles gedankt haben, was die Buben und Siebeneichen ihr bedeuteten. Sie wäre die erste gewesen, ihm ein gutes neues Jahr zu wünschen.
Aber eine andere Stimme brach in ihre Gedanken ein. Die Stimme von Andreas klang über den Tisch herüber: „Glückliches Neujahr, Gisela!“
Es wurde Sekt getrunken, dann Weihnachtsgebäck und Kaffee serviert. „Sie haben ja seit vorigem Jahr kein Essen bekommen“, sagte die Hausdame scherzend, als das Kaffeetablett hereingebracht wurde.
Giselas Gedanken waren in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Die Wirklichkeit war Andreas. Ein alter, guter Freund, ein hübscher, netter Mann. Ein Mann, auf den sie sich verlassen konnte. Ein Mann, der ihr keine neuen Probleme schaffte. Einer, der ihren Reichtum nie als etwas anderes als eine Selbstverständlichkeit betrachtete.
Sie empfand die alte Kindheitsfreundschaft gegenüber Andreas bewußt und wohltuend. Vor allem war es ihr klar, daß der Mann neben ihr zwei breite Schultern hatte, gegen die sie
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