Neues Glück für Gisela
Jungen.
Sie war mit unbegrenzt gutem Willen an ihre Arbeit herangegangen und mit dem festen Vorsatz, diese wilden Lausbuben zu gewinnen und ihre Freundschaft zu erringen. Sie hatte so unendlich viel unverbrauchte Liebeskraft, und sie hatte eine unerschöpfliche Geduld mit Kindern. Ach, das würde schon gehen! Es mußte gehen! Aber diese vierzehn Tage hatten ihre Unsicherheit nur noch verstärkt. Das plagte sie und bewirkte, daß sie mit gerunzelter Stirn darüber nachdachte: Warum gelang es ihr nicht, Kontakt mit den Kindern zu bekommen? Sie war ihnen mit Freundlichkeit begegnet, ja mehr als das, mit Herzlichkeit. Und niemand konnte sagen, daß sie zu streng war, im Gegenteil. Kam die eine oder andere kleine Unregelmäßigkeit vor, versuchte sie immer, diese vom Standpunkt des Kindes aus zu sehen und zu verstehen. Die Verstöße gegen die Schulordnung, die sie bisher notiert hatte, konnte man leicht an den Fingern einer Hand zählen.
Und trotzdem! Ihre Freundlichkeit hatte keinen Widerhall bei den Jungen gefunden, woran immer das auch liegen mochte. Sie mußte zusehen, wie ihre Kollegen mit frohem Lächeln begrüßt wurden, wie gern die Kinder mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern scherzhaft plauderten. Aber ihr selbst begegneten sie bloß mit unpersönlicher Höflichkeit.
Sie lauschte dem Klang ihrer Stimme, wenn sie mit anderen sprachen. Da waren sie eifrig und offen und fröhlich. Ihr war es nie geglückt, diesen frohen, vertrauensvollen Klang hervorzurufen.
Wenn sie bloß wüßte, woran das lag? Sie fühlte sich mutlos.
Gisela hatte mitten am Vormittag eine Stunde frei. Die Jungen hatten eben Turnen, und das Klassenzimmer stand leer. Sie blieb in dem leeren Raum sitzen und korrigierte Aufsatzhefte.
Da ging die Tür auf, und Rolf humpelte herein. „Nun, Rolf, hast du etwas auf dem Herzen?“
Sie lächelte zuvorkommend. „Ich wollte nur fragen, ob ich hier drinbleiben darf. Ich habe diese Stunde frei.“
„Ja, mein Lieber, das ist doch selbstverständlich. Da brauchst du doch nie zu fragen.“
Rolf setzte sich auf seinen Platz und nahm ein Zeichenheft und einen Bleistift heraus. Gisela ließ ihren Blick auf ihm ruhen.
Daß Rolfs Begabung über dem guten Durchschnitt lag, daran konnte kein Zweifel sein. In Giselas Fächern: Geschichte, Englisch und Deutsch, lag er weit über dem Durchschnitt. In Mathematik war er geradezu eine Leuchte. Das wußte sie von ihrem Kollegen Krogsvik.
Rolf war immer noch der Junge ihrer Klasse, dem sie am liebsten von allen nähergekommen wäre. Dieser kluge kleine Junge mit dem ruhigen, wachen Blick, den armseligen Kleidern und dem lahmen Bein war der, der sie am meisten interessierte. Aber Rolf war immer noch sehr zurückhaltend. Er war höflich, aber wortkarg, kam nie mit einer Frage, erzählte nie etwas, und Gisela hatte keine Ahnung davon, was hinter der nachdenklichen kleinen Stirn vor sich ging-
Sie versuchte, sich auf die Hefte zu konzentrieren. Aber die ganze Zeit ließ sie der Wunsch nicht los, mit diesem Jungen ins Gespräch zu kommen und Freund mit ihm zu werden.
Es fiel ihr die Tafel Schokolade in ihrer Handtasche ein. Sie kramte sie heraus, brach sie entzwei und streckte die Hälfte dem Jungen entgegen. „Hast du Lust auf ein bißchen Schokolade, Rolf?“
Er blickte auf und erhob sich, ein wenig zögernd. „Vielen Dank!“
Kein Wort mehr. Er ging auf seinen Platz zurück und zeichnete weiter, während er die Schokolade in kleinen Stückchen aß, sie ganz langsam im Munde zergehen lassend, um den Genuß so lange wie möglich auszudehnen.
Nach längerer Stille: „Ist das eine Hausaufgabe, die du da machst, Rolf?“
„Ach nein, das ist bloß etwas…“, er brach ab, und seine Stimme war voller Unlust, eine Erklärung abzugeben, „… etwas anderes“, schloß er.
Gisela stand auf und ging auf Rolfs Platz zu. Da schlug der Junge das Zeichenheft zusammen und legte es in seine Schultasche. Er nahm das Lehrbuch der Geschichte hervor und begann darin zu lesen.
Gisela seufzte. Sie ging still zu ihren Aufsatzheften zurück, und es wurde nichts weiter gesprochen.
Am nächsten Tag hatte sie die Aufsicht im Schulhof. Sie ging langsam auf und ab zwischen wilden Jungen und kichernden Mädchen.
Dort beim Zaun sah sie Rolf mit einem größeren Jungen vom Knabenheim. Sie standen da und aßen ihr Frühstücksbrot. Gisela warf einen schnellen Blick auf die Brotscheiben. Es war Kommißbrot mit einem dünnen, grauweißen, käseähnlichen Aufstrich. Gisela dachte an
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