Neues Glück für Gisela
Krankenhaus besucht hatte, Freundinnen, die aus denselben Verhältnissen wie sie selbst kamen.
Sie kannte keine anderen Krankenräume als blitzsaubere Einzelzimmer mit Blumen und komfortabler Ausstattung. In einem solchen Zimmer war sie zum Bewußtsein erwacht, umgeben von Liebe und Luxus und Blumen, und hatte begonnen, langsam wieder zu Kräften zu kommen.
Aber es war eine lange Zeit vergangen, ehe sie sich endlich mit ihrer Mutter aussprechen konnte. Und sie hatte nicht gewußt, daß die Mutter den Professor ängstlich gefragt hatte, wann Gisela es wohl ertragen konnte, die Wahrheit zu hören.
An einem Nachmittag war dann alles ans Licht gekommen, an einem hellen Frühlingsnachmittag. Ein leises Säuseln spielte in den Baumkronen vor dem offenen Fenster. Die Vögel zwitscherten.
Diese Wahrheit, behutsam und liebevoll erzählt, war doch so grausam gewesen, daß es nichts gab, das sie hätte mildern können.
Ihre Verletzung war viel ernster gewesen als sie ahnte. Sie hatte lebensgefährlichen inneren Schaden davongetragen. Ihr Leben war gerettet, und sie würde wieder gesund und arbeitsfähig werden. Aber… die Mutter biß sich auf die Lippen und ballte die Hand so fest, daß die Nägel ins Fleisch schnitten…
Der Autounfall hatte alle Zukunftspläne, all das Glück, ihr und Andreas’ Leben völlig geändert.
Gisela würde nie ein Kind bekommen können.
Gisela warf sich im Bett herum. Ach, daß sie nie davon loskam und es nie lassen konnte, in der schmerzenden Wunde zu wühlen, die so niemals heilen konnte. Diese quälenden Gedanken bedrängten sie wieder und immer wieder.
Ach, wie schrecklich war die Zeit gewesen, die dann folgte. Die Unterredung mit Andreas. Nie konnte sie seine guten Augen vergessen, seine belegte Stimme, weil er die Tränen zurückhalten wollte. „Aber Gisela, ich habe dich doch lieb, und du darfst nicht von mir gehen.“
Dann ihre eigene Stimme, ruhig, von eisiger Ruhe, so wie sie durch die Leiden der vergangenen Tage und Nächte geworden war: „Sprich nicht weiter, Andreas, es muß sein. Ich will nicht, und ich kann nicht. Ich habe kein Recht darauf. Du mußt dich mit einer anderen verheiraten, Andreas. Mit einem gesunden jungen Mädchen, das dir Kinder schenken kann, viele Kinder. Das bist du der Firma Sund schuldig, Andreas. Du bist der Letzte deines Geschlechts, begreif das doch…“
Gisela hatte auf ihrem Entschluß bestanden. Blaß und dünn, aber mit einer unfaßbaren seelischen Stärke, war sie nach Ravensund zurückgekommen. Und Andreas hatte sich zum Schluß ihren Argumenten gebeugt.
Gisela war kurz danach mit ihrer Mutter ins Gebirge gefahren. Der Sommer in der kräftigenden Höhenluft wirkte Wunder. Sie nahm zu, blühte sichtlich auf und wurde sonnengebräunt. Aber keine Sonne der Welt konnte den kummervollen Ausdruck ihrer Augen verjagen.
Nach ihrem Auto hatte sie nicht gefragt. Eins wußte sie: Nie mehr würde sie sich hinter ein Steuer setzen. Nie, nie mehr!
Als der Urlaub im Gebirge zu Ende war, brachte sie es nicht fertig, nach Ravensund zurückzukehren, sondern fuhr direkt nach Oslo. Da hatte sie sich an der Universität wieder eingeschrieben.
Sie versuchte ihren Kummer in Arbeit zu ertränken, studierte eifrig, machte ihre Examina und bestand sie alle mit Glanz.
Sie hatte dann eine Anstellung als Lehrkraft an der Realschule der kleinen Fabrikstadt Hoyfoss erhalten. Sie sollte Klassenvorsteherin der ersten Knabenklasse der Realschule werden. Und jetzt war sie also da, in Hoyfoss. Morgen wollte sie anfangen, ihre Wohnung einzurichten. Von jetzt an wollte sie nicht mehr an all das andere denken, bloß noch an die Farben der Tapeten. Ob wohl die Küche hübsch ausgemalt war? Sonst würde sie sie neu machen. Darin war sie geschickt, sie hatte auch die Küche in Sunds Gebirgshütte ausgemalt.
Jetzt waren sie schon wieder da, die quälenden Gedanken. Nein, fort mit ihnen! Fort!
Wie würden die Kinder in der Schule sein, ihre Knabenklasse? Ihre Jungen von dreizehn, vierzehn Jahren?
Plötzlich durchfuhr sie eine Angst: Wenn sie sie ebenso kühl aufnahmen, wie ihr heute im Zug der kleine Junge, der Rolf hieß, entgegenkam? Warum konnte sie nicht mit ihm ins Gespräch kommen? Ach, lieber Gott, sie brauchte so nötig einen Menschen, mit dem sie reden konnte, einen ganz außenstehenden Menschen, der ihre Tragödie nicht kannte.
Sie liebte Kinder. Jetzt würde sie von Kindern umgeben sein, von vielen Kindern, die sie brauchten. Kinder, die ohne Hemmung frisch von
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