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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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einer weiteren Flasche und meinte, ich solle ruhig noch bleiben, jetzt werde es gemütlich.
    Und dann haben wir geredet.
    Irgendwann erhob sich die Hausherrin und ging zu Bett. Irgendwann schlief ich auf einem Sofa ein. Als ich wieder aufwachte, hörte ich ein Klappern aus der Küche, und es roch nach köstlicher Hühnersuppe. Am Samstag kam neuer Besuch. Aber es war immer noch genügend Wein im Eisschrank. Wir tranken in Maßen, denn wir hatten ja gerade erst angefangen zu reden. Wann hatte ich schon solch einen Zeitzeugen getroffen, dazu einen hochgebildeten und lustigen, der sich mit mir, einem unbedarften Studenten, unterhielt.
    Ich wollte wissen, wie er zum Widerstand gestoßen war.
    Den Zugang zum Kreis um Claus Schenk Graf von Stauffenberg erhielt Fritzsche über Fritz Graf von der Schulenburg, ehemals stellvertretender Polizeichef von Berlin, später – obwohl zwölf Jahre älter – nur Oberleutnant in Fritzsches Bataillon in Potsdam.

    Am 20. Juli 1944 steht Hauptmann Dr. Hans Fritzsche um sechs in seiner Wohnung unter dem Offizierskasino in Potsdam auf. Wegen einer Kriegsverletzung kann er den linken Arm kaum bewegen, deshalb ist er nicht an der Front.
    Wie jeden Morgen macht sich Hauptmann Fritzsche zurecht, zieht die Uniform an und begibt sich zum Dienst. Am Vormittag klingelt das Telefon im Geschäftszimmer des Bataillons. Kommandeur Major Meyer, im Zivilberuf Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, nimmt ab. Am anderen Ende meldet sich Hauptmann Klausing. Er sagt: »Die Zigarrenspitze wird abgeschnitten!«
    Major Meyer meldet den mysteriösen Anruf den Zigarrenrauchern Hauptmann Fritzsche, den Oberleutnants von Kleist, von Hammerstein und Oppen. Für sie ist dieses Stichwort die Vorwarnung.
    Es ist Mittag.
    Hauptmann Fritzsche und die drei Oberleutnants fahren mit der S-Bahn zum Hotel Esplanade in der Nähe des Berliner Tiergartens.
    Sie nehmen eine Kleinigkeit zu sich und harren eines zweiten Anrufs. Besitzer des Hotels ist Regimentskamerad Major von Frankenberg, eingestuft als »zuverlässig«. Sie sind aufgeregt. Als ein kugelrunder General durch das Hotelfoyer walzt, sagt Kleist im Übermut: »Sollen wir dem nicht durch den Bauch schießen?«
    Gelänge der Anschlag auf Hitler, sollte Hauptmann Fritzsche – diesen Auftrag hatte er persönlich von Stauffenberg erhalten – an der Spitze von Truppen aus der Umgebung Berlins das Regierungsviertel besetzen. Dass die Truppen seinem Befehl folgen würden, dafür gibt es keine Garantie, doch Stauffenberg zweifelt nicht am Gehorsam der Soldaten.
    »Er lebte genau wie wir alle damals in dem Bewusstsein, dass Befehle auszuführen sind«, sagte mir Fritzsche. »Und er erhoffte sich, dass seine Befehle, solange er in der Lage wäre, welche zu erteilen, auch ausgeführt werden, ohne dass darüber diskutiert würde. Er setzte damit auf den allgemein gültigen Begriff Gehorsam und hoffte, so seine Aktionen durchzusetzen.«

    Am selben Tag erzählte ich Fritzsche, dass ich eine Seminararbeit bei den Soziologen zum Thema »Staatsstreich« geschrieben hätte. Das war Mitte der sechziger Jahre. Ganz naiv und ohne Emotionen hatte ich nach den abstrakten Thesen, die ich in einem Lehrbuch über das Gelingen eines Staatsstreichs gelesen hatte, das Vorgehen der Attentäter am 20. Juli 1944 beurteilt. Einige Fehler lagen auf der Hand: Wer einen Staatsstreich plant, muss als Erstes über die Kommunikationsmittel verfügen, also die Radiosender besetzen. Das hatten die Widerständler in Berlin nicht geplant. Und tatsächlich war ja spätestens mit der abendlichen Radioansprache von Hitler der Versuch des Umsturzes auch gescheitert.
    Ich fand mich damals sehr mutig.
    Aber dann kam Professor Gottfried Eisermann, der auf den ersten Lehrstuhl für Soziologie in Bonn berufen worden war, in den Hörsaal. Er trat ans Pult und sagte: »Heute haben wir einen Klassenkämpfer unter uns. Deshalb wird in dieser Stunde keine Arbeit vorgetragen.« Als ich Professor Eisermann nach dem Seminar ansprach, wollte er mit mir nicht diskutieren. Er sagte nur, während er seine Aktentasche einräumte, die Arbeit würde benotet. Ich erhielt ein »ausreichend« und damit den Seminarschein. Mir reichte das.

    Jetzt wollte ich von Hans Fritzsche wissen, weshalb die Rundfunkzentrale am 20. Juli nicht besetzt worden war.
    »Ich glaube, die Sache mit der Vernachlässigung des Rundfunks war eine reine Panne«, sagte Fritzsche. »Ich bin überzeugt, dass der Befehl von uns an irgendeine Kompanie, die

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