Neugier und Übermut (German Edition)
eine ganz große Sache und einen Protest«.
»Warum sind Sie festgesetzt worden?«, fragte ich ihn.
»Ja, ich hab mich dann mit den Franzosen, die übrigens in der Zwischenzeit bei mir eine Haussuchung in meiner Studentenbude gemacht hatten, sehr nett unterhalten. Und sie haben mir gesagt, ich sei denunziert worden. Ja, sage ich, von wem denn? Das sei organisation spéciale, sagten sie. Und als ich weiterbohrte, bekam ich nur noch heraus, es seien ehemalige SS- Männer in ihrem Dienste. Das war ein sehr interessantes Erlebnis.«
Nicht nur die Franzosen, auch die Amerikaner, die Sowjets und andere Staaten haben Nazi-«Fachleute« nicht nur in ihre Geheimdienste integriert. Selbst Verbrecher wie Josef Mengele, der berüchtigte KZ-Arzt, genannt »Todesengel von Auschwitz«, wurde einige Zeit lang von den US-Behörden geschützt.
Es hat noch lange gedauert, bis die deutschen Dienste sich dazu bekannt haben, auch Verbrecher aus der Nazi-Zeit angestellt zu haben. Der BND beschäftigte sogar den früheren SS-Mann Walter Rauff, den Erfinder der »Gaswagen« zur systematischen Ermordung von Menschen. Und von 1954 bis 1972 wurde der Verfassungsschutz von Hubert Schrübbers geleitet, einem Mann, der im Dritten Reich als schrecklicher Staatsanwalt die Ermordung von Juden in Kauf genommen hat.
Später, als Hans Fritzsche von der geheimen Akte erfahren hatte, fragte ich ihn, was ihn wohl in den Augen der Dienste verdächtig gemacht habe. Schließlich sei er doch seit 1957 sogar Mitglied der CDU.
Fritzsche überlegte einen Moment, dann holte er weit aus: »In der Gefangenschaft in Russland bin ich immer mehr zu der Überzeugung gekommen, dass Deutschland in Zukunft eine Politik zu treiben habe, die nicht nur gegenüber den Westmächten friedlich sein müsse, sondern wir müssten auch – davon bin ich heute noch überzeugt (1974) – zu einem vernünftigen Verhältnis gegenüber der Sowjetunion kommen, die ja im übrigen angegriffen wurde und – wie man sagt – ungefähr zwanzig Millionen Tote zu beklagen hatte und eine zerstörte Landschaft von Leningrad im Norden bis nach Rostow im Süden, und schließlich sind drei Millionen russische Kriegsgefangene in Deutschland umgekommen. All diese Tatsachen brachten mich zu der Überzeugung, dass wir politisch neutral bleiben müssten. Und damit befand ich mich ja in guter Gesellschaft. Damit meine ich nicht nur den bisherigen Bundespräsidenten Heinemann. Ich habe diese Auffassung schon damals vertreten und glaubte auch als Überlebender des 20. Juli meine Meinung dazu sagen zu dürfen. Aber das ging beinah bös aus für mich. Das Recht der freien Meinungsäußerung war zwar in der Verfassung garantiert. Das hieß aber noch lange nicht, dass man seine Meinung auch ohne Risiko frei äußern konnte.«
Für die Nazis war ein Mann des Widerstands mit politischem Verstand vergleichbar mit einem Nationalbolschewisten.
Und nicht nur ehemalige Nazis dachten so. Selbst das DDR-Braunbuch wurde von der gesamten regierenden Klasse in Bonn als »kommunistisches Propagandawerk« diffamiert, eine Neuauflage sogar auf der Frankfurter Buchmesse 1967 beschlagnahmt. Die Bundesregierung behauptete einfach, die Vorwürfe träfen nicht zu. Im Klima des Kalten Krieges war es schlimmer, ein Kommunist zu sein als ein ehemaliger Nazi.
Von wegen Kalter Krieg: Die letzten deutschen Gefangenen waren erst 1955 aus Sibirien zurückgekehrt. Der Aufstand in Ungarn, 1956, war blutig niedergeschlagen worden, und als im August 1961 die Mauer gebaut wurde, fürchtete selbst mein Vater, zu der Zeit Ostreferent im Auswärtigen Amt in Bonn, es könne zum Krieg kommen. Aus Angst vor solchen Unwägbarkeiten hatte er sich, sobald er es sich leisten konnte, einige Goldmünzen zugelegt, mit denen er hoffte, auf der Flucht die erste Notzeit überbrücken zu können.
Meinem Bruder und mir, die wir im Sommer 1961 auf einer Trampreise durch Griechenland das Abenteuer suchten, schrieb er postlagernd nach Athen, im Falle eines Krieges würden wir uns in Basel bei Bekannten wiedertreffen. Er teilte uns die Adresse in der Schweiz mit und bat uns, erst dann aus Griechenland zurückzukommen, wenn er uns Entwarnung geben würde. Die kam dann allerdings schon Anfang September – und vorher wollten wir ohnehin nicht zurückreisen.
Bei einer Einladung ist es ja manchmal so: Die meisten Gäste sind schon vor Mitternacht gegangen. Es ist Freitagabend, die Woche war lang, fast alle sind müde. Doch der Hausherr zog den Korken aus
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