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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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wichtige, andere Aufgaben in der Familie für sie haben, sind ein ganz anderes Kaliber. Einigkeit besteht sicher darüber, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Schulschwänzer in Handschellen der Schule zuzuführen oder das SEK die Wohnung stürmen zu lassen. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel verbietet derartige Gedankenspiele. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass fast alle verpfuschten Leben mit dem Schulschwänzen angefangen haben. Nicht jeder Schulschwänzer wird Intensivtäter, aber jeder Intensivtäter war Schulschwänzer.
    Ich habe schon angesprochen, dass es Berliner Bezirke gibt, die keine Schulverweigerer kennen. Also müssen sie sich auch keine Gedanken darüber machen, wie man mit ihnen umgeht. Die Glücklichen. Um die Dimension zu verdeutlichen: Als wir noch Hauptschulen hatten, lag dort die Schwänzerquote bei etwa 25   %. Das heißt, ein Viertel der Schüler blieb im Jahr länger als drei Wochen unentschuldigt der Schule fern. Seit der Auflösung der Hauptschulen können wir mit solchen Daten nicht mehr dienen. Der Vergleichswert bei den Gymnasien lag übrigens zwischen 3   % und 4   %.
    Wir hatten uns in Neukölln auf eine Linie verständigt, die Maßnahmen und Möglichkeiten anzuwenden, die uns das Gesetz gab. Also, Schulversäumnisse anzeigen, Bußgeldbescheide und – soweit möglich – auch Zuführung zur Schule durch die Polizei. Letzteres war immer heftig umstritten. Die Polizei wollte es nicht, weil es ein undankbarer Job ist, und die Gutmenschen erklärten uns, dass dadurch die jungen Leute nicht besser werden, sondern nur noch verbockter. Das haben wir nie bestritten. Der damalige Schuldezernent und ich waren nicht so weit jenseits von Gut und Böse, dass wir glaubten, durch die Zuführung mit der Polizei würde aus dem »schuldistanzierten Jugendlichen« nun ein Messdiener werden. Wir wollten ihm aber den Vorbildcharakter nehmen. Wir wollten, dass alle anderen Schüler in der Schule sehen, dass es Ärger mit der Polizei gibt, wenn man nicht zur Schule geht. Die Ansprache: »Ey, Alter, Schule ist uncool, lass uns lieber Einkaufscenter gehen, abhängen, im Media-Markt ein bisschen gamen, und vielleicht finden wir einen zum Abziehen. Kannst du ruhig machen, passiert sowieso nichts«, sollte nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Das war unser Ziel. Das funktionierte bis 2008 auch recht gut. Dann hatte sich – vermutlich dank einiger Reality-Shows – herumgesprochen, dass man nur die Tür nicht aufzumachen braucht, wenn die Polizei draußen steht, und schon ist diese ausgetrickst und abgewehrt. Das Schwert wurde stumpf. Wir sind nunmehr dazu übergegangen, die Bußgeldbescheide mit der Androhung der Erzwingungshaft zu versehen. Damit haben wir im Moment guten Erfolg. Leider ist uns damit aber die öffentliche Abschreckungswirkung verloren gegangen.
    Bei den Bußgeldverfahren wegen Schulschwänzens litten wir in Berlin jahrelang darunter, dass diese von den Verkehrsrichtern mitbearbeitet wurden. Mit welchem Elan sich Verkehrsrichter einem Bußgeldbescheid von 75 Euro wegen fünf Tagen Schulschwänzens widmeten, kann sich jeder vorstellen. Die Verfahren wurden reihenweise eingestellt. Erst als es auf deutliches Drängen der Schulen zu einer Zuständigkeitsverlagerung von den Verkehrsrichtern zu den Jugendrichtern kam, änderte sich die Spruchpraxis.
    Die vor ihrem Tod für Neukölln zuständige Jugendrichterin Kirsten Heisig war beim Thema Schulschwänzen gnadenlos. Einsprüche gegen Bußgeldbescheide waren zwecklos oder führten sogar noch zum Aufsatteln der Summe. Selbst sich im Schonbereich wähnende Hartz- IV -Eltern mussten Ratenzahlung vereinbaren; zahlten sie nicht, erließ Kirsten Heisig einen Haftbefehl. Die Geldscheine waren dann noch warm vom Drucken, so rasch gingen sie in der Gerichtskasse ein. Diese Praxis sprach sich schnell herum, genauso wie die Erfahrung, dass Kirsten Heisig durch Nachfragen in der Schule überprüfte, ob die von ihr erlassene Schulweisung befolgt wurde. Wer da schlampte, fing sich einen wunderbaren Nachschlag ein. Solche Dinge zeigten Wirkung. Nicht übermäßige, aber die Verhältnisse verschlimmerten sich auch nicht. Zartbesaitete können entspannen. Es musste nie ein Haftbefehl vollstreckt werden: Wir machten die gleichen Erfahrungen wie die Niederlande.
    Ebenfalls der Abschreckung diente der Wachschutz. Die Zahl der Gewaltvorfälle an unseren Schulen, die von außen – also von Schulfremden – in die Einrichtungen hineingetragen wurden, hatte im Jahre

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