Neukölln ist überall (German Edition)
Überraschungseffekten. Somit präsentieren die Nord-Neuköllner Schulen jedes Jahr eine beachtliche Menge junger Leute, die nicht nur insgesamt eine Bereicherung darstellen, sondern auch an ihren späteren neuen Lebensorten zum positiven Integrationserlebnis werden. Durch meine Besuche in den Schulen kenne ich nicht wenige von ihnen persönlich. Es gibt überhaupt keinen Grund, sie schräg von der Seite anzuschauen oder über ihre Herkunft die Nase zu rümpfen. Eventuell ist es sogar angezeigt, die Stirn zu kräuseln ob der Frage, warum die eigene Tochter oder der eigene Sohn nicht ebenso wohlgeraten ist.
Die vorstehenden Ausführungen finden sich so oder so ähnlich in jeder Integrationsbilanz, deren Fokus ausschließlich auf die Erfolge eingeengt wird. Manchmal noch begleitet mit dem Trompetenstoß: »Integration ist in Deutschland millionenfach gelungen!« Es gibt nur ein Problem: Ich weiß nicht, was uns dieser Satz sagen soll. Ich kenne niemanden, der bisher ernsthaft vorgetragen hat, dass es in Deutschland keine gelungenen Integrationskarrieren gibt. Natürlich gibt es sie, und zwar nicht zu knapp! Es sind die »unsichtbaren« Einwanderer, die wir als solche gar nicht mehr wahrnehmen. Es sind diejenigen, die ein so selbstverständlicher Teil unserer Sozialkontakte sind, dass man mit ihnen über Integrationsfragen gar nicht redet. Warum auch?
Gern kann ich mit einem Beispiel verdeutlichen, wen ich meine. Ein marokkanisches Ehepaar kommt nach Deutschland, um hier sein Glück zu machen. Anfangs erfüllen sich auch alle Träume. Doch dann erkrankt der Mann plötzlich an Lungenkrebs und stirbt. Die Frau steht im Alter von 27 Jahren mit einer Tochter, zwei Söhnen und einem Kind unter dem Herzen alleine da. Einem natürlichen Impuls folgend, geht sie mit ihren Kindern zurück nach Marokko. Doch die Kinder kommen dort nicht klar. Ihnen gefällt das Leben nicht, sie wollen zurück dahin, wo ihre Spielkameraden sind und wo es keine Prügelstrafe gibt. Die Mutter nimmt ihre Kinder und wandert ein zweites Mal nach Deutschland ein. In der Kita ihrer Kinder wird sie Reinigungskraft. Außer dem Kindergeld hat sie nie eine Sozialunterstützung erhalten. Die Tochter ist heute erfolgreiche Managerin für Musiker und Schauspieler, ein Sohn studiert Wirtschaftsingenieurwesen, einer ist Physiotherapeut und der dritte Industriekaufmann. Ich sehe bei meiner Arbeit viele Lebenswege, aber dieser nötigt mir Respekt ab.
Das sollte eigentlich der Normalfall sein. Aber wenn das so wäre, bräuchte ich dieses Buch nicht zu schreiben. Ich berichte über die Dinge, die seltener in den Erfolgsbilanzen stehen. Dass sich durch die Einwanderung auch Stadtviertel zu Elendsquartieren und Kiezen der Bildungsferne entwickelt haben. Und dass sie es sind, die uns Sorgen machen und um deren Willen ich eine andere, handlungsorientierte Integrationspolitik einfordere. Es geht nicht um weltoffene Abiturienten, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens. Sondern es geht um die deutlichen Zeichen, dass in den Problemvierteln der religiöse Fundamentalismus auf dem Vormarsch ist und dass sich zumindest dort die Clans der organisierten Kriminalität immer ungenierter ausbreiten – das sind die Alltagsthemen der Menschen. Es sind die Erlebnisse im öffentlichen Raum, die ihre Einstellung prägen. Und es sind die Erfahrungen, die Eltern veranlassen, ihre Kinder woanders zur Schule zu schicken.
Als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit im Dezember 2006 bei einem Interview auf N24 einmal äußerte, dass er Verständnis für alle Eltern habe, die nicht möchten, dass ihre Kinder in Kreuzberg zur Schule gehen, erhob sich ein Aufschrei der üblichen Verdächtigen. Wowereit wurde anschließend so lange »als Sau durchs Dorf getrieben«, bis er die Äußerung zurücknahm.
Einen routinierten Salto rückwärts legte erwartungsgemäß der Kreuzberger Bürgermeister hin. Er hatte Wowereit sofort empört aufgefordert, sich zu entschuldigen, weil dieser die Kreuzberger Schulen negativ stigmatisiert habe. Als Wowereit dann eine Woche später entnervt und devot kleinlaut seine Entschuldigung darbot und demonstrativ eine nette, schicke Kreuzberger Schule besuchte, entblödete sich derselbe Bürgermeister nicht, ihn wiederum zu kritisieren, weil er nunmehr eine funktionierende Schule besucht habe. Er hätte ihm gerne eine Schule mit Problemen und keine Vorzeigeschule gezeigt. Man muss in Berlin nicht alles verstehen.
Auch dem Schulleiter der
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