Neukölln ist überall (German Edition)
überhaupt richtet und für wen es gilt. Nämlich für die Berliner Verwaltung und für private Institutionen, an denen das Land Berlin Mehrheitsbeteiligungen hält. Es ist also ein Gesetz, das man für sich selbst gemacht hat. Dann hätte ein Rundschreiben eigentlich auch gereicht.
Im Detail geht es nun darum, wie eine Beauftragte oder ein Beauftragter für Integration und Migration ernannt wird und wie lange die Amtszeit dauert. Man gründet einen Landesbeirat (den es längst gibt) und regelt umständlich, wer dazu gehört und wie er zustande kommt. Man kreiert Bezirksbeauftragte für Integration und Migration (die es ebenfalls längst gibt) – und dann ist das Gesetz schon zu Ende. Ach nein, es folgen ja noch einige Artikel zur Änderung bereits bestehender Gesetze. Die Hochschulen sollen durch mehr Öffentlichkeitsarbeit unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen zur Aufnahme eines Studiums animieren, und im Sportförderungsgesetz werden die Wörter »ausländische Mitbürger« durch die Wörter »von Menschen mit Migrationshintergrund« ersetzt. In diesem Stil geht es weiter. Aus »kirchlichen« Feiertagen werden »religiöse«. Und dann wird immer wieder geklärt, wer bei den Senioren, bei Bedürftigen, im Jugend- und Schulbereich ein Pöstchen besetzen darf.
Doch ich will nicht ungerecht sein. Zwei wesentliche Punkte habe ich Ihnen bisher unterschlagen. In den Bezirken werden Integrationsausschüsse eingerichtet. Was auf den ersten Blick noch halbwegs vernünftig aussieht, erweist sich auf den zweiten als Schildbürgerstreich: Existierten bisher auf der Bezirksebene Beiräte für Integration und Migration mit bis zu 27 Teilnehmern, so gibt es jetzt einen Ausschuss mit 15 Mitgliedern. Davon kommen allerdings nur sieben aus Organisationen außerhalb der Verwaltung. Auf gut deutsch, die Beteiligung der Einwanderer am Bezirksgeschehen wird reduziert und nicht ausgebaut. Insidern war von Anfang an klar: Das wird in der Praxis so nicht stattfinden. Ein Gremium, das erst einmal da ist, entwickelt immer einen beachtlichen Überlebenswillen. In diesem Fall sogar zu Recht. Das Ergebnis ist also: Wir haben jetzt zwei Gremien für dieselbe Thematik. Das ist echt innovativ.
Ach ja, und dann ist da noch die Sache mit den Toten. Der umfangreichste Teil des Gesetzes befasst sich mit den Fragen, ob Leichen aus religiösen Gründen in einem Leichentuch ohne Sarg bestattet werden dürfen, wie Särge beschaffen sein müssen, in denen die Leichen bis zum Grab transportiert werden, wie das mit der Wiederverwendung des Sarges ist, mit den Räumen für rituelle Waschungen und welche Schutzmaßnahmen bei der Leichenschau im Sinne der Hygiene und des Seuchenschutzes zu treffen sind. Man fasst es nicht. Nicht soziale Verwerfungen, Mängel des Schulsystems, Bildungsferne, Diskriminierung oder auch Kriminalität spielen in dem Gesetz eine Rolle, sondern der Umgang mit Toten in epischer Breite. Ich fragte bei der Diskussion um dieses Gesetz ein Senatsmitglied, warum das so gehandhabt worden ist. Die entwaffnende Antwort lautete: »Wir haben das reingeschrieben, damit überhaupt etwas drinsteht.« Dann passt es natürlich wieder und reiht sich ein in die bekannte Gaukler-Politik. Dabei gäbe es wirklich genug zu tun.
Sollten Sie nicht so ohne weiteres bereit sein, mir die vorstehende Geschichte abzunehmen, so klicken Sie sich doch einfach ins Gesetz. * Viel Amüsement.
In Neukölln-Nord wirken heute zehn Gebiete der »Sozialen Stadt« (ein elftes betrifft die Gropiusstadt im Süden). Insgesamt handelt es sich nach dem Urteil des 2011 verstorbenen Prof. Dr. Häussermann um einen »Sozialraum mit Ausgrenzungstendenz«. Davon gibt es insbesondere im Bezirk Mitte und in Friedrichhain-Kreuzberg noch weitere. Nach seinem »Monitoring Soziale Stadtentwicklung« ist davon auszugehen, dass mehr als 800 000 Menschen in Berlin in Gebieten mit einem sehr niedrigen Entwicklungsindex leben. Das vernichtendste Urteil von Prof. Dr. Häussermann war einmal der Satz: »Man muss in Berlin von einer gespaltenen Kindheit ausgehen. Immer mehr Kinder in Umgebungen mit immer größeren Problemen gegenüber Kindern in Umgebungen mit immer weniger Problemen.«
Die mahnenden Hinweise auf die bevölkerungspolitische und sozialintegrative Fehlentwicklung von Neukölln-Nord sind lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen oder gar belächelt worden. Dies war der Grund für mich, Prof. Dr. Häussermann insgesamt dreimal zu bitten, sich gutachterlich über die
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