Neukölln ist überall (German Edition)
Organisationen ›Abtrünnige‹ bestrafen, Schutzgelder erpresst werden, Arbeitgeber ihre Angestellten verprügeln und Drogenhändler unbehelligt ihren Geschäften nachgehen können.« Ich teile diese Sichtweise uneingeschränkt. Integrationspolitik muss auch fordernde und leitende Elemente beinhalten. Gerade Menschen aus Ländern mit gesellschaftlichen Systemen ohne feste Sozialstrukturen, ordnende Zentralinstanzen und Bindungen an humanitäre Werte brauchen eine neue Orientierung, manchmal auch Führung. Elementare Dinge sind nicht nur Bestandteil sozialpädagogischer Hinwendung, sondern müssen auch Bestandteil von Verbindlichkeiten und Sanktionen sein.
Die Gewissheit, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Grundrechte eines jeden Menschen akzeptieren und im Zweifelsfall auch schützen, ist die Voraussetzung für gesellschaftliche Solidarität. Wenn sie fehlt, kann es weder ein Gefühl der Sicherheit geben noch die Überzeugung, Teil einer großen Familie zu sein, in der einer für den anderen einsteht.
Das Pflichtenheft des Miteinanders hat aber nicht nur Seiten für die Einwanderer. Eine Gesellschaft muss sich auch als integrationswillig und integrationsfähig definieren und präsentieren. Die Aufnahme neuer kultureller Einflüsse geht nicht immer reibungslos. Sie erfordert Toleranz und an vielen Stellen auch Hilfe wie eigene Rücknahme. Sich an Fremdes zu gewöhnen fällt Menschen mitunter schwer. Abwehr ist dann die Konsequenz. Abwehr führt zum Gefühl der Ausgrenzung beim anderen. Aus Abwehr und Ausgrenzung kann auch Feindschaft entstehen. An dieser Stelle ist die beobachtende Gesellschaft ebenso völlig fehl am Platze.
Da es eine solidarische Gesellschaft nicht ohne ein Gefühl der Gemeinsamkeit geben kann, ist es Aufgabe der gesellschaftlichen Kräfte, aktiv einzugreifen, um das Trennende abzubauen und das Verbindende zu stärken. Dazu reicht es aber nicht, persönliche Referenten schöne Formulierungen niederschreiben zu lassen und sie dann vor den Fernsehkameras moralisierend zu wiederholen. Nein, das erfordert entschlossenes Handeln. Ich wiederhole: Wir haben in Deutschland keinen Erkenntnismangel, sondern ein Handlungsdefizit! Gerade die Integrationspolitik ist bis heute ein gigantisches Spielfeld der Eitelkeiten, der Selbstgerechtigkeit und des Verbalradikalismus. Mir ist eigentlich kein Bereich der Politik geläufig, in dem so viel mit gekreuzten Fingern auf dem Rücken geredet wird wie hier. Ich komme später in anderen Kapiteln auf diesen Aspekt noch mehrmals zurück.
Jede Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit den Schwachen umgeht. Starke können sich einen schwachen Staat leisten. Schwache brauchen einen starken Staat, der sie schützt und der sie fördert. Deshalb müssen die staatlichen Institutionen Offenheit gegenüber Minderheiten zeigen. Sie müssen Diskriminierung ächten. Sie müssen ihnen helfen, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden, ihnen verständlich machen, welche Erwartungen an sie gehegt werden und welche Unterstützung sie erhalten können, um diesen Erwartungen gerecht zu werden. Integration ohne die ausgestreckte Hand der Gemeinschaft ist nur schwerlich möglich. Ich glaube sogar, es geht gar nicht.
Über allem aber muss die Überschrift stehen: Für jeden ist klar, was man tut und was man nicht tut. Denn genau aus der Missachtung dieses lapidaren Grundsatzes entspringen die Reibungen im Alltag. Unser Alt-Bundespräsident Johannes Rau hat es in seiner Berliner Rede im Jahr 2000 so formuliert:
»Das Zusammenleben ist auch schwierig, und es ist anstrengend. Wer das leugnet oder nicht wahrhaben will, ist mit allen Appellen zu mehr Toleranz, Freundlichkeit und Aufnahmebereitschaft unglaubwürdig.
Es hilft nichts, vor Problemen die Augen zu verschließen oder allein schon ihre Beschreibung als Ausländerfeindlichkeit hinzustellen.
Es ist nicht schwer, in wohlsituierten Vierteln eine ausländerfreundliche Gesinnung zu zeigen. Schwerer ist es da, wo sich immer mehr verändert, wo man als Einheimischer die Schilder an und in den Geschäften nicht mehr lesen kann, wo in einem Haus Familien aus aller Welt zusammenwohnen, wo sich im Hausflur ganz unterschiedliche Essensgerüche mischen, wo laut fremde Musik gemacht wird, wo wir ganz andere Lebensstile und religiöse Bräuche erfahren.
Schwer wird das Zusammenleben dort, wo sich manche alteingesessene Deutsche nicht mehr zu Hause fühlen, sondern wie Fremde im eigenen Land.
Im klimatisierten Auto multikulturelle
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