Neukölln ist überall (German Edition)
überlegenswerte praktische Politikansätze mitbrachte und dies zu einer breiten Diskussion innerhalb der Parteien und Medien führte, entschied meine eigene SPD -Fraktion des Abgeordnetenhauses, »dass sie an Reiseberichten keinen Bedarf hat«. Dieser eigentlich unglaublichen Ignoranz und Arroganz folgte ein kleines, aber nachhaltiges politisches Erdbeben. Es verhalf mir zu einem Popularitätsschub, für den ich eigentlich heute noch honorarpflichtig wäre.
Ein fast kindisches Verhalten legte über viele Jahre der Integrationsbeauftragte des Landes Berlin an den Tag, indem er sich zu einem Bezirk mit 128 000 Einwanderern und ihren Abkömmlingen fast völlig abstinent verhielt. Es war schon recht kleinkariert, was mir Journalisten über seine Versuche berichteten, die Neuköllner Integrationspolitik madig zu machen oder ihre Erfolge an seine Fahne zu heften. Er traute sich einfach nicht zu uns, blickte neidvoll auf unsere praktische Arbeit, negierte sie in nahezu alberner Weise, was letztlich zu einer gegenseitigen, weiträumigen Umfahrung führte. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen, dass er unter einer Neuköllnphobie litt. Inzwischen hat er sich dankenswerterweise anderen Aufgaben zugewandt. Vorher beglückte er Berlin aber noch mit seiner wohl grandiosesten Fehlleistung, dem »Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration«.
Dieses Gesetz aus dem Jahr 2010 hat einen schicken Namen. Es verheißt auch viel. Und dennoch werden die folgenden Zeilen über seine Inhalte zu einem humoristischen Teil dieses Buches.
Der Ehrgeiz des letzten rot-roten Senates war groß. Der des kleinen Koalitionspartners DIE LINKE war noch größer. Der Geschäftsbereich »Integration und Migration« oblag dem kleineren Koalitionspartner. Und so wollte dieser unbedingt mit dem ersten Gesetz eines Bundeslandes zu dieser Thematik in die deutsche Integrationsgeschichte eingehen. Es wurde eine formidable Bauchlandung. Eine Blamage ersten Ranges. Das einzige, was man diesem Gesetz zugute halten kann, ist, dass es niemandem schadet. Helfen tut es aber auch nicht. Zumindest nicht bei der Bewältigung der Integrationsprobleme. Es ist ein Placebo. Und damit hat man den Inhalt bereits abgehandelt.
Aber ich will Ihnen einen Blick in das Gesetz nicht vorenthalten. Außerdem gehört sich auch eine Begründung, wenn man das Werk anderer so niedermacht, wie ich es vorstehend getan habe.
Als erstes möchte ich eine Frage an Sie weitergeben: Was, würden Sie denken, sollte in einem Gesetz zur Regelung von Partizipation und Integration in Berlin wohl stehen? Welche Erwartungen würden Sie hegen? Ich für meine Person würde glauben, dass ein solches Gesetz sich mit dem Stand des Integrationsprozesses auseinandersetzt und dort, wo es noch Hemmnisse gibt, diese aufzeigt und Regelungen zur Abhilfe trifft. Also, wie gehen wir nun um mit den Sprachdefiziten bei den Kindern, wie gestalten wir die Elternarbeit, durch welche Maßnahmen versuchen wir die Bildungsferne in der Stadt zu beheben, wer sind unsere Partner dabei, wie professionalisieren wir unsere Bildungseinrichtungen für diese Aufgabe, welche Erwartungen haben wir an die Einwanderer und ihre Organisationen, und womit wollen wir die Kluft in der Stadt überbrücken und das weitere Auseinanderdriften verhindern?
Wenn diese oder ähnliche Fragen auch Sie bewegen und Sie Antworten in dem Gesetz dazu suchen, werden Sie eine herbe Enttäuschung erleben. Nichts davon werden Sie finden. Es sei denn, es reichen Ihnen die Botschaften von der Metaebene, dass sich »das Land Berlin zum Ziel setzt, Menschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu geben und gleichzeitig jede Benachteiligung und Bevorzugung auszuschließen. Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger abhängt. Erfolgreiche Integration setzt sowohl das Angebot an die Bevölkerung mit Migrationshintergrund zur Beteiligung als auch den Willen und das Engagement der Menschen mit Migrationshintergrund zur Integration voraus.« So heißt es in §1. Wenn Sie mit diesen Formulierungen, die einer mittelmäßigen Presseerklärung entnommen sein könnten, zufrieden sind, dann hat das Gesetz seinen Zweck erfüllt. Wenn Sie aber nach etwas mehr Substanz suchen, wird die Aufgabe schon anspruchsvoller.
Die erste Überraschung erlebt man bei der Erkenntnis, an wen sich das Gesetz
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