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Neukölln ist überall (German Edition)

Neukölln ist überall (German Edition)

Titel: Neukölln ist überall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Buschkowsky
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Eberhard-Klein-Schule, Bernd Böttig, erging es zuvor nicht anders, als er 2005 in einem Interview mit dem Stern schonungslos die Verhältnisse an seiner Schule anprangerte: »Die meisten, die zu uns in die Hauptschule kommen, sind schon in der Grundschule gescheitert. Zwar ist die Integration in Berlin gescheitert, die Bevölkerung hier in Kreuzberg lebt sehr bewusst in ihrem selbstgeschaffenen Ghetto. Seit die letzten deutschen Schüler weg sind, haben wir hier weniger Probleme. Wir müssen uns nicht darum kümmern, die Deutschen zu integrieren.«
    Das sind nur zwei kleine Beispiele dafür, dass es an Hinweisen auf die Lebensrealitäten in Berlin nicht mangelt. Ich könnte sie beliebig fortsetzen. Die kraftvollen Formulierungen von Politikerinnen und Politikern zur Einwanderung, zur Integration und auch zu Problemen einer Einwanderungsgesellschaft füllen in meinem Büro viele Schränke. Ich glaube sogar, die eine oder der andere wäre erschrocken, wenn nicht gar etwas verstört, wenn ich sie zitierte. Und trotzdem ist es in der praktischen Politik so, dass diese Themen nicht wirklich viele interessieren. Sie sind als »Schmuddelthemen« verpönt. Man kann sich damit auch keine Freunde machen. Sagt man die Wahrheit, gibt es sofort Stress, und im Ansehen wandert man in die rechte politische Ecke. Im schlimmsten Fall ist bei der nächsten Kandidatenkür das Mandat futsch.
    Mir fällt in diesem Zusammenhang eine ehemalige migrationspolitische Sprecherin und Islambeauftragte der SPD -Fraktion des Deutschen Bundestages ein. Wir begegneten uns einige Male bei Podiumsdiskussionen. Solange sie das Mandat innehatte, kamen wir nicht recht zusammen. Ich glaube, sie fand meine Beiträge genauso schrecklich wie ich die ihrigen. Nachdem sie aber aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden war, avancierte ich zu ihrem heimlichen Fan. Plötzlich pflegte sie bei ihren öffentlichen Auftritten und den Medien gegenüber eine klare, unmissverständliche Sprache, nannte die Dinge beim Namen und hatte auch präzise Vorstellungen davon, was zu tun ist. Die Wandlung dieser Frau in ihrem öffentlichen Auftreten war für mich ein weiterer Beleg für meine These, dass in keinem Politikfeld so viel wider besseres Wissen geredet und gehandelt wird wie bei Integrationsfragen. Der in Berlin lebende türkischstämmige Schriftsteller Zafer Şenocak hat dieses Phänomen einmal sehr scharfzüngig beschrieben: »In den nächsten Jahrzehnten werden wir es mit Tausenden beruflich unqualifizierten jungen Menschen auf unseren Straßen zu tun haben, die sozial chancenlos sind. Wer diese Missstände aber offen formuliert, bekommt ganz schnell seine Probleme mit der Gutmenschen-Mafia, die über Parteigrenzen hinweg bestens funktioniert.« Ob man sich diesen Formulierungen anschließen will, ist Geschmackssache. Der Sachverhalt an sich ist aus meiner Sicht nicht zu bestreiten.
    Um die Unwilligkeit der Politik auch im Alltag und in Randbereichen zu dokumentieren, kann ich über folgendes Erlebnis berichten. Bei den Beratungen des Haushaltsplanes 2012/2013 trug ich im Berliner Landesparlament zur allgemeinen Lage des Bezirkes Neukölln vor, dass wir seit einiger Zeit starke Zuwanderungsströme aus den EU -Staaten Bulgarien und Rumänien zu verzeichnen haben. Da die zuziehenden Familien häufig kinderreich sind, würden unsere Schulen an die Grenzen ihrer Kapazitäten stoßen – es fehle sowohl an Räumlichkeiten als auch an kulturnahen, mehrsprachigen Lehrkräften und Sprachmittlern. Ich verwies auf zunehmende Unruhe in der ansässigen Bevölkerung. Auf diesen Hinweis fragte niemand, welche Unterstützung wir benötigen, wie viele Räume, wie viele Lehrer – weit gefehlt. Ich wurde von der Fraktion der Piraten aufgefordert, den latenten Rassismus zu unterlassen. So sind Realitäten.
    Zur Armutswanderung innerhalb der EU werde ich noch zu einem späteren Zeitpunkt zurückkommen.
    Es ist einfach so, dass keiner hören will, was sich in den sozialen Brennpunkten oder auch Problemgebieten oder Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf abspielt. In Berlin hat das sicher auch etwas mit meiner Person zu tun. Ich gehe der Belegschaft des Elfenbeinturms auf den Zünder. Aber das ist durchaus auch meine Absicht. Seit das System »Totschweigen« nicht mehr funktioniert, ist in der Landesliga Plan B »minimalistische Wahrnehmung« angesagt. So etwas führt schon zu fast kabarettistischen Verhaltensweisen. Als ich vor einigen Jahren von einem Besuch in Rotterdam einige

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