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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gibson
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einem verrußten braunen Sandsteinbau, dessen Fenster vor Jahrzehnten mit Wellblech vernagelt worden waren. In einem Teil des Erdgeschosses war irgendein Laden untergebracht gewesen, dessen gesprungene Schaufenster nun dreckverschmiert und undurchsichtig waren. Die Tür zwischen den blinden Fenstern war mit dem gleichen Wellblech verstärkt worden, mit dem die oberen Fenster verschlossen waren. Bobby glaubte, eine Art Schild hinter dem linken Fenster zu entdecken, eine ausrangierte Neonschrift, die schief im Halbdunkel hing. Lucas stand einfach nur vor der Tür, mit ausdruckslosem Gesicht; der Stock war ordentlich auf den Gehsteig gepflanzt, die großen Hände waren übereinander auf den Messingknauf gestützt. »Lektion Nummer eins«, sagte er in einem Tonfall, als würde er ein Sprichwort aufsagen, »du musst immer warten …«
    Bobby glaubte, ein Scharren hinter der Tür zu hören, dann ertönte ein Rasseln wie von Ketten. »Erstaunlich«, sagte Lucas. »Fast, als hätte er uns erwartet.«

    Die Tür schwang an gut geölten Angeln zehn Zentimeter weit auf und schien dann an etwas hängenzubleiben. Ein Auge musterte sie, ein starres Auge im dunklen, staubigen Spalt, das Bobby zunächst für das Auge eines großen Tiers hielt; die Iris hatten eine seltsame bräunlichgelbe Farbe, das Augenweiß war gesprenkelt und blutunterlaufen, und das untere, herabhängende Lid war noch röter. »Mr. Hoodoo«, sagte das unsichtbare Gesicht, zu dem das Auge gehörte. »Mr. Hoodoo mit einem kleinen Haufen Scheiße. Herrgott …« Ein grässliches Gurgeln ertönte, als würde uralter Schleim aus verborgenen Tiefen hochgezogen, dann spuckte der Mann aus. »Also los, rein mit euch, Lucas.« Ein weiteres Knirschen, und die Tür schwang nach innen ins Dunkel. »Ich hab auch noch anderes zu tun.« Letzteres aus einem Meter Abstand, im Zurückweichen, als flöhe der Besitzer des Auges vor dem Licht, das durch die offene Tür hereinfiel.
    Lucas trat ein, und Bobby folgte ihm. Bobby merkte, wie die Tür leise hinter ihm zufiel. Bei der plötzlichen Dunkelheit stellten sich die Haare an seinen Unterarmen auf. Sie schien lebendig zu sein, diese Dunkelheit, dicht und geballt und irgendwie empfindungsfähig.
    Dann flammte ein Streichholz auf, und eine Art Grubenlampe zischte und spuckte, als das Gas sich in ihrem Glühstrumpf entzündete. Bobby starrte mit offenem Mund in das Gesicht hinter der Lampe, wo das blutunterlaufene gelbe Auge mit seinem Gegenstück in einer Visage wartete, die Bobby am liebsten für eine Maske gehalten hätte.
    »Du hast uns doch wohl nicht erwartet, Finne, oder?«, fragte Lucas.
    »Wenn du’s genau wissen willst«, sagte das Gesicht und entblößte große, flache gelbe Zähne, »ich wollte gerade los, um mir was zu essen zu besorgen.« Er machte auf Bobby den Eindruck, als könnte er sich von modrigem Teppich ernähren
oder sich geduldig durch den holzhaltigen braunen Papierbrei der von der Feuchtigkeit aufgequollenen Bücher fressen, die schulterhoch zu beiden Seiten des Gangs aufgestapelt waren, in dem sie standen. »Wer ist der kleine Scheißer, Lucas?«
    »Weißt du, Finne, Beauvoir und ich haben Probleme mit etwas, was wir in gutem Glauben von dir erworben haben.« Lucas streckte den Stock aus und stupste damit einen gefährlich überhängenden Stapel zerfallender Taschenbücher an.
    »Ach ja?« Der Finne spitzte in spöttischer Betroffenheit die Lippen. »Lass den Unsinn, das sind lauter Erstausgaben, Lucas. Wenn du sie umschmeißt, bezahlst du sie.«
    Lucas zog den Stock zurück. Das polierte Messing glänzte im Lampenlicht.
    »Also«, sagte der Finne, »ihr habt Probleme. Komisch, Lucas. Echt komisch.« Seine Wangen waren gräulich und von tiefen Querfalten gefurcht. »Ich hab auch Probleme, drei Stück. Heute früh hatte ich die noch nicht. Tja, so ist das manchmal im Leben.« Er stellte die zischende Lampe auf einen leergeräumten Aktenschrank aus Stahl und kramte eine krumme Filterlose aus der Seitentasche eines Kleidungsstücks, das wohl einmal eine Tweedjacke gewesen war. »Meine drei Probleme sind oben. Vielleicht wollt ihr sie euch mal ansehen …« Er entzündete ein hölzernes Streichholz am Fuß der Lampe und steckte sich die Zigarette an. Der stechende Geruch von dunklem kubanischem Tabak erfüllte die Luft zwischen ihnen.
     
    »Wisst ihr«, sagte der Finne, als er über die erste Leiche stieg, »ich wohne schon lange in diesem Haus. Jeder kennt mich. Jeder weiß, dass ich hier wohne. Wenn du

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