Neuromancer-Trilogie
dicken Stock aus geöltem, poliertem Holz mit einer lebhaften schwarzroten Maserung und einem glänzenden Messingknauf. Fingerlange,
glatt in den Schaft eingelassene Messingzungen liefen vom Knauf aus nach unten. »Nein.« Seine wulstigen Lippen bildeten eine gerade, ernste Linie. »Das wüssten wir auch gern.«
Bobby trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Der Aufzug machte ihn verlegen. Er war so groß wie ein kleiner Bus und keineswegs überfüllt, aber Bobby war der einzige Weiße. Schwarze, so fiel ihm auf, als sein Blick nervös durch die Kabine schweifte, sahen im Neonlicht nicht halb tot aus wie die Weißen.
Dreimal machte der Aufzug auf dem Weg nach unten in irgendeinem Stockwerk halt, einmal fast eine Viertelstunde lang. Beim ersten Mal hatte Bobby Lucas einen fragenden Blick zugeworfen. »Ist was im Schacht«, hatte Lucas erklärt. »Was denn?« – »Anderer Aufzug.« Die Aufzüge befanden sich im Kern der Arcologie und teilten sich die Schächte mit Wasserleitungen, Abflussrohren, dicken Stromkabeln und isolierten Röhren, die Bobby dem geothermischen System zuordnete, das Beauvoir beschrieben hatte. Das alles konnte man sehen, wenn die Türen aufglitten; alles war offen und sichtbar installiert, als hätten die Erbauer dieser Anlage Wert darauf gelegt, genau zu sehen, wie alles funktionierte und was wohin ging. Und alles, sämtliche sichtbaren Flächen, war mit einem ineinandergreifenden Netz von Graffiti überzogen, so dick und vielschichtig, dass es nahezu unmöglich war, irgendeine Message oder ein Symbol zu erkennen.
»Du warst noch nie hier oben, was, Bobby?«, fragte Lucas, als die Türen wieder zuglitten und der Aufzug seine Fahrt nach unten fortsetzte. Bobby schüttelte den Kopf. »Schade«, sagte Lucas. »Zwar verständlich, aber trotzdem irgendwie schade. Two-a-Day sagt, du bist nicht allzu scharf drauf, in Barrytown rumzuhocken. Stimmt das?«
»Na logisch.«
»Auch das ist verständlich, würde ich meinen. Ich hab den Eindruck, dass du ein junger Mann mit Phantasie und Initiative
bist. Hab ich Recht?« Lucas schlug sich mit dem glänzenden Messingknauf seines Stocks in den rosigen Handteller und schaute Bobby unverwandt an.
»Glaub schon. Barrytown geht mir echt auf die Eier. In letzter Zeit ist mir irgendwie aufgefallen, dass da nichts los ist, verstehste? Na ja, es ist schon was los, aber es ist immer das Gleiche, immer der gleiche Scheiß, der da läuft, alles wiederholt sich, jeder Sommer ist wie der Sommer davor …« Bobbys Stimme verklang. Er wusste nicht recht, was Lucas von ihm halten würde.
»Ja«, sagte Lucas. »Das Gefühl kenn ich. Auch wenn’s in Barrytown vielleicht noch schlimmer ist als anderswo, kann man dieses Gefühl auch leicht in New York oder Tokio kriegen.«
Das kann nicht sein, dachte Bobby, nickte aber trotzdem. Rheas Warnung spukte noch in seinem Kopf herum. Lucas wirkte nicht bedrohlicher als Beauvoir, aber allein schon seine Statur war ein Grund, vorsichtig zu sein. Bobby entwickelte gerade eine neue Theorie des persönlichen Verhaltens; er hatte noch nicht alles komplett auf der Reihe, aber ein Element war der Gedanke, dass jemand, der wirklich gefährlich war, das vielleicht gar nicht zu zeigen brauchte – und umso gefährlicher war, gerade weil er es verbergen konnte. Dies stand in krassem Gegensatz zu der Regel, die in Big Playground galt, wo Kids, die im Grunde nichts zu melden hatten, großen Aufwand trieben, um ihre Chromnieten-Brutalität zur Schau zu stellen. Was ihnen wahrscheinlich auch was brachte, soweit es die dortige Szene anging. Aber mit der dortigen Szene hatte Lucas eindeutig nichts zu tun.
»Du glaubst mir nicht, wie ich sehe«, sagte Lucas. »Tja, du wirst es wahrscheinlich noch früh genug rausfinden, aber vorläufig erst mal noch nicht. Wie’s aussieht, wird für dich alles noch’ne ganze Weile neu und aufregend sein.«
Die Aufzugtüren glitten zitternd auf, und Lucas schob Bobby vor sich her wie ein Kind. Sie traten in ein scheinbar endlos großes Foyer mit gefliestem Boden, gingen an Kiosken, mit Tüchern behangenen Ständen und Leuten vorbei, die neben Decken kauerten, auf denen sie allerlei Zeug ausgebreitet hatten. »Gebummelt wird aber nicht«, sagte Lucas, als Bobby vor einem kunterbunten Haufen Software stehenblieb, und schubste ihn sachte mit einer großen Hand weiter. »Du bist auf dem Weg ins Sprawl, mein Freund, und zwar so, wie es sich für einen Count geziemt.«
»Und das wäre?«
»In einer
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