Neva
kleines Stück von mir geht mit ihm. Wir kommen an der Küche vorbei, in der meine Mutter am Herd steht und in einem Topf rührt. In ihrer Miene erkenne ich deutlich ihre Sorge, ob mit mir alles okay ist. Ich nicke. Sie und Sanna haben ein Komplott geschmiedet: Mom überlässt es Sanna, mir einen Bericht der Ereignisse zu entlocken, während sie selbst später eine heiße Mahlzeit auf den Tisch bringt, um den Anschein von Normalität zu erwecken. Ich rieche den Truthahn im Ofen und kann mir nicht vorstellen, wie mein Leben je wieder normal werden soll.
»Die Polizei hat mich nach den Graffiti gefragt. Und sie haben Nicoline«, platze ich heraus, nachdem Sanna meine Zimmertür hinter uns geschlossen und sich neben mich aufs Bett gesetzt hat.
»Halt, Nev. Ganz langsam.« Wir lehnen uns gegen das Kopfteil meines Bettes und starren auf das Chaos in meinem Zimmer.
»Sie haben mir gedroht.« Ich lege meinen Kopf an die Wand. »Und sie haben von Verrat und toxischen Gasen gesprochen. Sie wollten, dass ich Namen nenne.«
Sie springt auf und bahnt sich einen Weg durch die Klamotten auf dem Boden. »Was hast du ihnen erzählt?«
»Nichts.« Es macht mich nur noch nervöser, Sanna dabei zuzusehen, wie sie auf und ab geht. »Sie haben erklärt, sie würden mich auf eine Gemeindefarm schicken. Allerdings habe ich auch gehört, dass sie Leuten, denen sie unpatriotisches Verhalten vorwerfen, Ortungschips einpflanzen.«
»Das dürfen die?« Sie späht durch mein Fenster und zieht den Vorhang zu.
Ich schließe die Augen. »Ich kenne jemanden, der jemanden kennt, mit dem sie das gemacht haben.« Ich kann ihr nicht die ganze Wahrheit verraten. Ich kann ihr nichts von Ethan sagen. Das habe ich ihm versprochen. »Sie implantieren dir einen Chip unter die Haut.« Unwillkürlich reibe ich mir das Handgelenk, als wollte ich überprüfen, ob sich nicht bereits einer dort befindet.
Ich höre, wie sie sich durch mein Zimmer bewegt. Dann spüre ich, wie die Matratze sich senkt, als sie zu mir zurückkehrt und sich aufs Bett setzt. Sie haben mir etwas Schlimmeres implantiert als nur ein Ortungsgerät. Sie haben mir Zweifel eingeimpft. »Du glaubst doch nicht, dass sie recht haben? Du weißt schon – mit den Behauptungen über die andere Seite der Protektosphäre? Da
muss
es noch etwas geben, nicht wahr? Und es ist unser Recht, es zu erfahren.« Meine Großmutter war sich so sicher. Aber nun schwindet mein Vertrauen in sie und ihren unbeirrbaren Glauben an ein Leben jenseits der Schutzhülle, und ich weiß nicht, wie ich ohne diese Überzeugung weiterleben soll.
»Keine Ahnung.« Sie hüpft vom Bett. »Okay, genug davon.«
Ich schlage die Augen auf. »Und was machen wir jetzt? Ich habe überlegt, wir sollten alle zusammenrufen. Wir müssen uns versammeln und einen Plan schmieden …« Ich verstumme. Mit ihren nackten Füßen tritt Sanna ein Paar Jeans von mir aus dem Weg. Sie scheint mehr daran interessiert, meine Kleiderberge zu durchforsten, als mir zuzuhören. »Sanna?«, frage ich leise und werde lauter, als sie nicht reagiert. »Was ist denn los?«
»Nev, wir sollten es langsam angehen lassen. Zumindest im Augenblick.« Sie sieht mich einen Moment lang an, wendet jedoch sofort den Blick ab.
»Was? Wieso? Ich dachte, die Dunkelparty, der Slogan – das sei alles erst der Anfang.«
»So sollte es sein … Ich meine, das ist es auch«, stammelt sie. »Aber wir müssen sehr vorsichtig vorgehen, uns praktisch in Zeitlupe bewegen.« Ich starre sie entgeistert an. Auch sie verändert sich, genau wie Ethan. Es ist, als würde man dabei zusehen, wie aus einem lodernden Feuer plötzlich ein Haufen glimmender Kohle wird. Sie krallt die Zehen in meinen fadenscheinigen Teppich. »Du bist jetzt megaenttäuscht. Das bin ich auch, aber …«
»Ich bin nicht enttäuscht«, unterbreche ich sie. »Ich habe Angst. Man hat mich zum Verhör zur Polizei gebracht. Und jetzt werden sie mich beobachten. Trotzdem können wir nicht einfach aufhören.«
»Meine Pflegeeltern drehen durch. Ich musste mich eben sogar rausschleichen. Mein Bruder sagt, wir müssen den Ball flachhalten. Er meint, da wäre was im Busch, aber er weiß nicht, was. Jedenfalls sind die Bullen hektisch und gereizt.« Sie streckt die Zehen und zieht sie wieder an, so dass ihre Knochen knacken, was ich nicht ausstehen kann. »Und ich hab’s Braydon versprochen.«
Sein Name aus ihrem Mund – das macht mich fertig. Braydon ist also der wahre Grund. Ihre Pflegeeltern und die
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