Neva
Keine Ahnung, wie lange ich hierbleiben muss und was als Nächstes geschehen wird. Ich will es mir lieber nicht vorstellen.
Als die Tür sich wieder öffnet, setze ich mich auf. Der Vernehmungsbeamte kommt zurück. Ein Hemdzipfel ragt an einer Seite über seine Hose und ruiniert den Gesamteindruck der makellosen Uniform. Erneut nimmt er gegenüber von mir Platz. »Ich frage dich jetzt noch einmal, ob du etwas über die unpatriotische Schmiererei in der Hauptstadt weißt.«
Ich senke den Blick und schüttele den Kopf.
»Wir wissen, dass es Gruppen gibt, die weitere Proteste planen. Wir brauchen gute Patrioten – Menschen wie dich –, die uns dabei helfen, solche Verschwörungen aufzudecken. Dein Vater ist Mitglied im regierenden Rat. Selbstverständlich würdest du nichts tun, was seine Position gefährdet.« Er sieht in den Spiegel hinter mir. »Kannst du uns Namen von Personen nennen, die in unpatriotische Aktionen verwickelt sind oder solche planen?«
Ich fahre mir mit den Fingern durchs Haar. Es ist schweißfeucht. »Nein«, antworte ich. »Ich kenne niemanden.« Aber selbst ich würde mir das nicht abkaufen.
»Neva, wir wissen, dass du eine treue Bürgerin bist. Allerdings haben wir leider auch Grund zu der Annahme, dass du weißt, wer möglicherweise weitere Proteste plant. Um ihret- und deinetwillen solltest du uns die Namen nennen, damit wir diesem Unfug ein Ende bereiten können. Ich verspreche, dass wir Milde walten lassen, wenn wir das hier und jetzt beenden können.« Damit holt er ein kleines, abgeschabtes Notizbuch und einen Stift aus seiner Brusttasche, schlägt den Block auf und sucht nach einem freien Blatt. Mit dem Stift in der Hand wartet er auf mein Geständnis. Meint er denn wirklich, ich würde ihm Namen nennen? »Die Protektosphäre beschützt uns. Die Luft draußen ist hochgradig toxinbelastet. Hier drinnen sind wir in Sicherheit.«
Das kenne ich alles schon. Meine Großmutter und Sannas Mutter haben es nicht geglaubt. Laut Großmama gibt es keinen Beweis, dass draußen alles verendet. Ich muss mich zusammenreißen, um mir nicht anmerken zu lassen, was ich wirklich denke. Stattdessen nicke ich zustimmend.
Er fährt fort: »Jede Rede, die sich gegen die Protektosphäre richtet, könnte mental instabile Personen dazu bewegen, unser Sicherheits- und Filtersystem zu sabotieren. Ich bin mir sicher, dass du das nicht willst. Es ist bestimmt nicht in deinem Interesse, dass ein paar dumme Worte von dir oder jemand anderem brave Menschen das Leben kosten, nicht wahr?«
»Nein, Sir.« Weißglühende Angst durchfährt mich. Was, wenn Großmutter sich getäuscht hat? Was, wenn wir sterben, solange wir nichts tun, aber auch sterben, wenn wir die Protektosphäre einreißen? Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich lege meine Hände flach auf den Tisch und spreize die Finger, um mir selbst Halt zu geben.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
Ich nicke, doch ich spüre, wie sich Speichel in meinem Mund ansammelt, als ob ich mich gleich übergeben müsste.
»Neva. Die Namen?« Mit gezücktem Stift beugt er sich vor.
Ich muss aufpassen. Er stellt mir eine Falle. »Ich kenne niemanden, der etwas getan hat. Kann ich jetzt bitte nach Hause gehen?« Ich schiebe die Hände unter meine Oberschenkel.
Wütend wirft er das Notizbuch und den Stift auf den Tisch. »Ich muss dich gehen lassen«, presst er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Aber betrachte das als Warnung.« Er tritt hinter mich und legt seine Hände auf meine Schultern. Ich möchte schreien. Jeder Muskel in meinem Körper spannt sich an. Er beugt sich herab, so dass er mir ins Ohr flüstern kann, ohne dass jemand anderes es hören oder auch nur sehen könnte. »Ich weiß, dass du irgendwas damit zu tun hast. Aber dein Daddy hat deine Haut gerettet. Dieses Mal noch.« Sein heißer Atem jagt mir einen eisigen Schauder über den Rücken.
Unwillkürlich weiche ich ihm aus. »Ich habe nichts Falsches getan.« Meine Stimme bricht, und ich muss mich auf jede einzelne Silbe konzentrieren. Ich kann ihn noch immer hinter mir spüren.
»Niemand beschuldigt dich eines Verbrechens«, sagt er laut, so dass die Leute hinter dem Spiegel es mitbekommen. »Im Augenblick jedenfalls noch nicht. Du kannst gehen. Soll ich deiner Mutter oder deinem Vater Bescheid geben, damit sie dich abholen?«
»Ich bin jetzt erwachsen und kann allein nach Hause gehen.« Ich versuche, selbstbewusst zu klingen, aber ich sehe in seinem harten Blick, dass er es mir nicht
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