Neva
Eine Gestalt in schwarzer Uniform ganz oben an der Treppe blickt düster auf mich herab. Vielleicht ist es der Polizist, der mich verhört hat, aber ich kann es unmöglich mit Sicherheit sagen. »Ja, gehen wir«, erwidere ich und schwinge mich auf sein Motorrad. Er steigt vor mir auf.
»Wir werden ein Weilchen fahren.« Er bewegt die Maschine vorwärts und tritt den Ständer nach hinten. Einen Moment lang schwankt das schwere Ding. Ich traue mich plötzlich nicht, ihn anzufassen. »Halt dich fest«, weist er mich an und startet den Motor.
Ich lege meine Hände an seine Taille. Daraufhin zieht er meine Arme nach vorne um seinen Körper. Meine Fingerspitzen berühren sich an seinem Bauch. Kurz lässt er seine Finger auf meinen ruhen, dann greift er den Lenker, und wir brausen davon.
Ich lehne den Kopf an seine sonnenwarme Lederjacke. Mit den Beinen halte ich mich auf dem Bike. Ich versuche, mich nicht zu sehr an ihn zu klammern, aber mein ganzes Wesen sehnt sich danach, ihn zu berühren. Ich weiß nicht, ob es das Vibrieren des Motors ist oder etwas in mir, das meinen Körper zum Prickeln bringt. Ich schäme mich für meine Erregung. Er presst seine Ellenbogen an die Seiten, damit meine Arme nicht von ihm abrutschen. In jeder Kurve schmiegen sich unsere Körper aneinander.
Wir fahren quer durch die Stadt. Dabei fällt mir auf, wie oft er in die Rückspiegel sieht. Ich wage nicht, mich umzudrehen, da ich unser Gleichgewicht nicht stören will, aber ich habe das Gefühl, dass wir verfolgt werden. Wir tauchen in einen Tunnel und rasen hindurch. Wieder im Licht biegen wir scharf ab. Dann halten wir an und ducken uns hinter eine lange Reihe von Büschen, die dem Tunnelausgang gegenüberliegt. Eine dunkle Limousine kommt heraus und drosselt das Tempo. Vielleicht sucht der Fahrer ja nach uns. Wir warten, bis der Wagen an uns vorbeigefahren ist, dann kehren wir durch den Tunnel zurück.
Braydon entspannt sich spürbar. Ich stelle mir vor, dass er mich entführt. Wir werden gemeinsam untertauchen. Ich presse meine Lippen auf seine Lederjacke. Nach einer Weile erkenne ich Straßen und Gebäude wieder. Ich schlinge meine Arme fester um ihn, weil ich noch nicht in die Wirklichkeit zurückkehren will. Da hält er aber bereits vor unserem Haus. Mein Leben ist durchgeschüttelt worden wie eine dieser Schneekugeln, in denen fröhliche Figürchen von herabsinkendem Glitzer bedeckt werden. In meiner hat sich stattdessen jedoch alles gelöst, schwirrt wild umher, kracht gegeneinander und landet in einem völligen Durcheinander auf dem Grund.
Braydon löst meine Hände von seiner Brust, bevor er absteigt. Er hilft mir herunter. Meine Beine sind schwach, und ich plumpse nach vorne, aber er fängt mich auf. Wir klammern uns aneinander. Meine Wange liegt an seiner Brust, und ich lausche seinem Herzen, das ohrenbetäubend laut im Einklang mit meinem schlägt.
Und plötzlich weiß ich, dass er es auch spürt. Überrascht mache ich mich los und betrachte sein Gesicht. Seine Augen, die mich magisch anziehen. Diese Lippen.
Er streicht mir das Haar von der Wange, das der Wind zerzaust hat. Unsere Gesichter nähern sich langsam. Es kostet mich jedes bisschen Kraft, ihn nicht zu küssen. Ich sinke wieder in seine Arme, drehe aber den Kopf zur Seite. Sanna beobachtet uns durch mein Fenster. Durch den Riss in der Scheibe sieht es aus, als hätte man sie in zwei Teile geschnitten und schief zusammengesetzt. Sie winkt und verschwindet hinter dem Vorhang. »Sanna kommt«, flüstere ich und wende ihm mein Gesicht zu. Ich spüre die Wärme seiner stoppeligen Wange, atme seinen Duft ein. Ich nehme einen Hauch von Rasierwasser wahr, den ich eben noch nicht bemerkt habe.
»Oh, Gott«, entfährt es mir, als wir uns trennen.
Er blickt zu Boden, auf seine roten Stiefel. »Ich weiß«, entgegnet er und kickt ein paar Steinchen auf das Gras.
»Nev, du Arme!« Sanna rennt auf mich zu und zieht mich von Braydon weg. Sie drückt mich an sich, aber mein Körper bleibt starr. Erst jetzt kehre ich wieder in mein wahres Leben zurück, und das schlechte Gewissen durchströmt mich. Sanna nimmt meine Hand. Braydon die andere. Sanna zerrt mich weg von ihm in Richtung Haus. Die Fingerspitzen unserer ausgestreckten Hände verweilen einen Moment lang in der Luft. Dann ist die Empfindung, die meine Haut entflammt hat, fort.
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8 . Kapitel
S anna zerrt mich ins Haus hinein. Ich höre, wie der Motor von Braydons Maschine aufheult und er davonfährt, und ein
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