Neva
kandidieren würde.«
Das Gesicht des anderen läuft rot an. »Nein, sicher nicht.«
»Das Mädchen hat eine geistige Störung.« Dad hat seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. »Wie ihre Großmutter.«
Ich versteife mich.
»Ich konnte meine Mutter damals nicht retten, aber nun habe ich die Chance, meine einzige Tochter zu retten. Harold, ich bitte dich darum.« Er fleht nun fast. Harolds Miene bleibt reglos. »Meine Mutter war eine von den Verrückten, die glaubten, es gäbe draußen Leben«, fährt Dad fort.
»Und was ist mit ihr passiert?«, fragt Harold.
»Laut Berichten ist sie beim Fluchtversuch durch die Protektosphäre von einem Stromschlag getötet worden.« Sein Tonfall verrät keinerlei Gefühl.
Meine Knie geben nach, und ich muss mich am Stuhl neben mir festhalten. Das kann nicht sein. Es ist einfach nicht wahr. Sie wartet auf mich, das weiß ich genau. Aber seine Worte lassen den Zweifel in mir keimen.
»Meine Tochter hat keine Schuld daran, dass ihre Großmutter ihr all diese Flausen in den Kopf gesetzt hat. Sie braucht Hilfe. Sie ist krank.«
Der Mann schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht, George. Was willst du denn mit ihr machen?«
»Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich habe eine psychiatrische Anstalt gefunden, die mit chemischer Neuprogrammierung schon einige Erfolge gefeiert hat. Im Übrigen gebe ich dir mein Wort darauf, dass sie sich fortpflanzen wird.«
Ich kann mein eigenes Gewicht nicht länger halten und lasse mich auf den Stuhl sinken. Lieber bleibe ich und stelle mich dem, was hier auf mich zukommt.
Harold schluckt. »Aber wie soll ich …?«
Dad unterbricht ihn: »Sie ist niemals hier gewesen, verstehst du mich? Niemand kann Menschen besser verschwinden lassen als du.«
»George, was du da von mir verlangst …«
Nun ist es Dad, der die Schulter des anderen packt. »Die Geschichte formt unsere Gegenwart. Menschen können als Visionäre oder als Dummköpfe dargestellt werden«, sagt Dad. »Es zahlt sich aus, mich zum Freund zu haben, und ich vergesse nie, wenn man mir einen Gefallen getan hat.«
Harold öffnet eine Klappe in der Wand und drückt ein paar Tasten. »Den Rest erledige ich aus der Kontrollzentrale.« Er deutet mit dem Kopf auf mich. »Bring sie raus.«
Die Männer schütteln sich die Hände. Dad greift mir unter den Arm und führt mich durch endlose Flure. Er ist schon hier gewesen. Wenigstens hat er sich wegen mir herbemüht. Aber ich kann mich nicht darüber freuen, einen Vater zu haben, der sich sicher durch dieses Gewirr bewegt. Meine Großmutter ist tot, und mein Vater schickt mich in eine Anstalt, in der an meinem Gehirn herumgepfuscht werden soll.
»Sag kein Wort. Wir werden beobachtet«, sagt er, als wir allein im Wagen sind. Wir fahren. Ich sehe die Landschaft an mir vorbeiziehen und frage mich, ob es wohl das letzte Mal ist, dass ich draußen bin.
»Weiß Mom, wo du bist?«
»Sie glaubt, dass ich Überstunden mache.«
»Sag’s ihr nicht, ja? Erzähl ihr irgendwas, aber nicht, wohin du mich bringst. Sag ihr nicht, was du getan hast. Sag ihr, ich bin entkommen.«
Er sieht mich an, dann wendet er sich wieder der Straße zu. Er tritt aufs Gas. Ich möchte mich irgendwo festhalten, presse mich tiefer in den Sitz. »Dad, bitte!«
»Neva, sei still. Sag kein Wort, was auch immer geschieht.«
Wir nähern uns der Grenze. Warnschilder fliegen an uns vorbei. Dad zeigt eine Marke vor, als wir von der Grenzpatrouille am ersten Kontrollpunkt angehalten werden. Die Anstalt liegt also in der Nähe der Grenze – wo sonst sollte Heimatland auch die Bürger unterbringen, die als nicht gesellschaftsfähig gelten?
Am zweiten Kontrollpunkt blickt ein bewaffneter Mann in den Wagen. »Hat sie einen Ausweis?«, fragt er und richtet die Taschenlampe auf mein Gesicht.
»Sie ist meine Assistentin. Dringende Arbeit an der Protektosphäre. Ein Notfall.« Wieder zeigt er seine Marke. Der Wachmann schaut auf sein Klemmbrett und blättert ein paar Zettel um.
»Sie stehen nicht auf der Liste, Dr. Adams«, erwidert er fast entschuldigend.
»Wie ich bereits sagte: Es handelt sich um einen Notfall. Hat mein Büro Ihnen denn nicht Bescheid gegeben? Ich habe diese Inkompetenz wirklich satt«, schimpft er laut und stößt die Autotür auf. Wütend steigt er aus. »Wo ist Ihr Vorgesetzter? Ich muss mit ihm sprechen.«
»Es ist mitten in der Nacht, Sir«, erklärt die Wache.
»Soll das heißen, dass er im Dienst schläft?« Er wirft einen Blick auf das Namensschild
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