Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
in seinen eigenen Streifenwagen eingeschlossenen Officer Dillow und schlägt Alarm.
Ich merke erst, dass ich weine, als ich meine zittrigen Atemzüge höre, die von kleinen Schluchzern unterbrochen werden. Ich fühle mich völlig allein. Alles, was ich weiß, ist, dass ich in großen Schwierigkeiten stecke und dass jetzt alles noch schlimmer geworden ist. Ich bin mir sicher, dass Officer Dillow sich das Kennzeichen dieses Wagens gemerkt hat. Es wird nicht lange dauern, bis jeder Cop des Landes nach mir sucht. Nach dem Mädchen fahndet, das Michael Brenner ermordet hat.
Ich stelle mir vor, wie sein Atem schwächer wurde, zusammenbrach und schließlich aufhörte. Hat er eine Familie wie die Familie auf meinem Bild? Ich erinnere mich an den Inhalt seiner Brieftasche. Tankstellen- und Kreditkarten, aber keine Fotos, zumindest habe ich keine gesehen. Ich habe einen Menschen umgebracht. Lag es an dem Schlag gegen die Kehle? Oder an dem Stein, auf dem sein Kopf aufgeschlagen ist?
Ich sage mir, dass das ohne Absicht passiert ist. Er wollte mich umbringen, aber ich hatte nicht vor, ihn umzubringen. Es war ein Unfall. Nicht wahr?
Wo kann ich jetzt hingehen? Was soll ich tun? Wo würde mir jemand glauben? Gibt es einen Ort, an dem es sich die Leute zweimal überlegen, bevor sie mich einem Mann ausliefern, der behauptet, ich sei geisteskrank? Einen Ort, wo jemand einen Beweis dafür einfordert? Ich denke an die Karte, die ich auf Google Maps gesehen habe. Entweder fahre ich nach Bend, das etwa vierzig Minuten östlich von hier liegt, oder Portland, welches die nächste Großstadt ist, etwas weniger als drei Stunden in nordwestlicher Richtung.
So oder so könnte ich zur Polizei gehen oder zu einem Anwalt. Officer Dillow in seiner Polyesteruniform und mit seinem People- Magazin hat Dr. Nowell geglaubt. Oder dem Mann, der sich Dr. Nowell nannte. Aber ein Anwalt oder ein richtiger Cop könnte vielleicht misstrauischer sein.
Ich zittere, und zwar nicht nur vor Angst. Ich bin erschöpft. Mein Magen ist eine harte Kugel aus Hunger und ich habe das Gefühl, als ob irgendjemand einen Nagel in mein linkes Auge hämmert. Ich kann auf keinen Fall noch drei Stunden Auto fahren. Vor allem nicht, wenn jeder einzelne Cop in der Umgebung schon bald nach mir suchen wird. Deshalb entscheide ich mich für Bend. Als ich den Highway erreiche, fahre ich Richtung Osten.
Ich muss einen Ort suchen, an dem das Auto nicht auffällt. Etwas mit einem großen Parkplatz, zum Beispiel einen großen Supermarkt. Vielleicht kann ich mich auf den Rücksitz legen, die große Jacke wie eine Decke über mich ziehen und schlafen – wenigstens für ein paar Stunden. Ich kann nirgendwo stehen, wo die Polizei oder irgendwelche Sicherheitsbeamten neugierig werden könnten, das Kennzeichen überprüfen oder meinen Führerschein sehen wollen. Wenn mich irgendjemand kontrolliert, bin ich geliefert. Ich habe keinen Ausweis und ich bin mir sicher, dass das Auto als gestohlen gemeldet wird.
Vielleicht sollte ich es loswerden. Aber wie soll ich dann vorwärtskommen? Wie kann ich fliehen, wenn mich jemand verfolgt? Meine Gedanken durchlaufen immer wieder dasselbe Labyrinth und finden keinen Ausweg. Und die Kopfschmerzen werden noch schlimmer.
Endlich sehe ich die Ortsschilder von Bend. Ich verlasse den Highway und fahre durch die Gegend, bis ich ein belebtes Einkaufszentrum finde. Ich kurve durch die vollen Reihen in der Mitte des Parkplatzes, bis endlich ein Lieferwagen ausparkt und ich die Lücke, die er hinterlässt, nehmen kann.
Alle Läden sehen vertraut aus – Gap, Victoria’s Secret, REI. Ich weiß, welche davon Unterwäsche verkaufen und welche Rucksäcke. Warum kenne ich die Namen von Läden und weiß, was in ihnen zu finden ist, aber bei meinem eigenen Namen und dem, was mit mir los ist, tappe ich völlig im Dunkeln? Bin ich verrückt? Bin ich vielleicht tatsächlich eine Mörderin, obwohl ich das gar nicht will? Im Dämmerlicht schaue ich auf meine zitternden Hände hinunter. Wie kann ich wissen, wie man Auto fährt oder wie man einen Mann niederschlägt, und keine Ahnung haben, wie ich mir selbst helfen kann?
Die Fragen bilden in meinem Inneren ein Echo. Mein Kopf fühlt sich so leer und schmerzhaft an wie mein Magen. Nur dass ich für meinen Magen vielleicht etwas tun kann. Sie haben hier einen McDonald’s und ich glaube, dort gibt es ein Spar-Menü. Ich durchsuche jede Tasche, aber alles, was ich finde, ist das Foto sowie Michael Brenners Handy und
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