Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
Beweise gesammelt hat, hat er auch eine Probe gestohlen. Ist mit dieser Probe irgendetwas geschehen? Hat sich jemand infiziert?«
Es hat keinen Sinn mehr zu lügen. »Max.«
»Das ist jetzt …«, Nowell wendet den Blick nach oben, denkt nach, sieht mich aber gleich wieder an, bevor ich irgendetwas unternehmen kann, »… was? Sechsunddreißig Stunden her? Das heißt, morgen Abend wird dein Bruder Fieber bekommen, das immer höher steigt. Und sein Rücken und seine Hüften werden wehtun, als würden seine Knochen in Flammen stehen. Dann werden sich seine Lungen allmählich mit Blut füllen und er wird keine Luft mehr bekommen. Hast du jemals jemanden auf diese Weise sterben sehen? Das ist nicht schön. Sie werden von Panik erfasst wie Ertrinkende, aber du kannst nichts tun und es gibt kein Mittel, das sie retten kann. Und am Ende wird er sterben. Und du und deine Eltern können nichts dagegen tun.«
»Nicht, wenn wir ihm den Impfstoff bringen«, sage ich. Schauspielere nicht. Fühle es. Ich bin jetzt jemand anderes, eine noch verzweifeltere Version meiner selbst. Max’ Leben hängt davon ab. »Bitte. Max ist erst drei Jahre alt. Er weiß nichts. Er kann Ihnen in keiner Weise schaden. Lassen Sie ihn am Leben. Lassen Sie mich den Impfstoff zu ihm bringen, danach ist es mir völlig egal, was mit mir geschieht.«
Nowells Antwort trieft vor triumphierendem Sarkasmus. »Er weiß nichts, genau wie du nichts weißt? Deine Eltern haben mich bereits gelehrt, was passiert, wenn ich jemandem aus eurer Familie vertraue. Sie hätten reicher werden können als in ihren kühnsten Vorstellungen. Und niemandem wäre dabei etwas zugestoßen. Die Leute hätten sehr gut dafür bezahlt, dass es nicht so weit kommt. Es ging einfach nur darum, Reichtum zu verschieben.«
Während er spricht, geht er zur dritten Kühlkammer. Der Kühlkammer mit dem Behälter, auf dem HV-IMPFSTOFF steht. Während er die Waffe immer noch auf uns richtet, öffnet er die Kühlkammer, greift mit einer Hand hinein und findet zielsicher die Flasche.
»Nein, tut mir leid, Cady, aber ich kann nicht zulassen, dass du das mitnimmst. Deine Eltern wussten, dass es seinen Preis hat, sich gegen mich zu stellen. Jetzt müssen auch sie bereit sein, ihn zu bezahlen.« Er nimmt die Flasche, die ich kurz zuvor in der Hand hatte, und schraubt mit einer einzigen Bewegung des Daumens den Deckel auf.
»Nein!«, schreie ich. Bevor ich ihn erreichen kann, kippt er die Flasche lachend ins Spülbecken aus. Ich schlage die Handfläche über den Abfluss, aber alles sickert mir durch die Finger. Die Flasche ist leer.
Und Nowell lacht. Lacht, während ich schreie.
Hinter uns geht ein Alarm los, ein endloses, hohes Summen. Nowells Kopf fährt herum. Rauch quillt unter der Tür der Wärmekammer hervor.
»Was habt ihr getan?« Seine Stimme wird vom Alarmton fast übertönt. »Was habt ihr Idioten getan?«
Nowell rennt zur Tür und packt die Klinke der Wärmekammer. Doch als er sie aufreißt, schlägt ihm mit voller Wucht ein orangefarbener Feuerball entgegen, der ihn einhüllt, an ihm hinauf und über seinen Körper hinwegrollt.
Dann wird alles dunkel.
40
TAG 3, 5:07 UHR
A ls ich aufwache, liege ich auf einem schmalen Bett mit weißem Bettzeug. Die Decke besteht aus weißen Styroporfliesen und die Wände sind blassgrün. Schon das dritte Mal wache ich an einem Ort auf, den ich nicht kenne. Zuerst die Hütte. Dann bei Ty. Jetzt ist es wohl ein Krankenhauszimmer.
Aber dieses Mal schläft meine Mom auf einem Stuhl neben mir. Als ich mich aufsetze, fährt sie aus dem Schlaf auf. Ihr Blick huscht durch das Zimmer, dann holt sie tief und bebend Luft und umarmt mich so fest, dass ich kaum atmen kann. Aber das macht mir nichts aus.
»Max?«, frage ich, als sie endlich ihren Griff lockert. Meine Stimme ist ein Krächzen. Sie lehnt sich zurück, lässt aber die Hände auf meinen Schultern liegen.
»Sieht so aus, als würde er wieder in Ordnung kommen. Dank dir, Cady.« Mom küsst mich auf die Wange und nimmt dann meine eigentlich unverletzte Hand in ihre. Ich merke, dass jetzt beide in Verbänden stecken, nicht nur die mit den fehlenden Fingernägeln. »Er hat den Impfstoff vor ein paar Stunden bekommen.«
»Hat er?« Ich merke, dass es draußen immer noch dunkel ist. Immer noch Nacht.
»Du bist so klug, Cady«, sie macht eine kurze Pause. Dabei fallen mir die violetten Schatten unter ihren Augen auf. »Du hast den Impfstoff in eine unbeschriftete Flasche gefüllt und in die
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