Neville, Katherine - Der magische Zirkel
einschenkte.
«Wie sieht denn nun unser Plan für heute aus?» fragte ich. «Unser Flugzeug nach Leningrad geht heute nachmittag um
fünf», sagte Wolfgang. «Und Kloster Melk macht um zehn Uhr auf – in ungefähr einer Stunde. Das heißt, wir haben für unsere Nachforschungen ein paar Stunden Zeit, bevor wir uns auf den Weg zum Flughafen machen müssen.»
«Hast du irgendwelche Anhaltspunkte, wonach wir suchen sollen?» fragte ich.
«Es soll etwas geben, das die Dokumente, die von deiner Großmutter all die Jahre gehortet wurden, miteinander verbindet», antwortete Wolfgang. «Melk beherbergt eine große mittelalterliche Sammlung, die uns dieses fehlende Glied liefern könnte.»
«Aber wenn die Klosterbibliothek so viele Bücher enthält wie die Bibliothek, in der wir gestern waren – wie sollen wir da in ein paar Stunden etwas finden?» fragte ich.
«Ich hoffe wie deine Verwandten, daß du finden wirst, wonach wir suchen.»
Mit dieser kryptischen Antwort mußte ich mich abfinden, wenn ich mich noch duschen und anziehen wollte; denn wir wollten von hier aufbrechen, bevor das Kloster Melk öffnete. Ich war reisefertig, als mir plötzlich etwas einfiel. Ich bat Wolfgang, sein Faxgerät benutzen zu dürfen, um das gestrige Fax aus den Staaten zu beantworten.
Während ich in das kleine Büro hinunterging, versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Ich wollte Sam die wichtigeren Ereignisse des gestrigen Tages mitteilen, aber es gab da etwas, dem ich mich stellen mußte. Schon an Sam zu denken war mir peinlich, und noch unangenehmer war es mir, ihm in dieser Umgebung und nach meinen nächtlichen Aktivitäten zu schreiben. Es klingt vielleicht lächerlich, aber ich wußte, wenn jemand meine Strahlung, ob heiß oder andersartig, empfangen konnte – selbst wenn sie mehrere tausend Kilometer Glasfaserkabel durchlaufen mußte –, dann war es Sam. Vielleicht hatte er sie sogar schon aufgefangen. In meinem Traum in der vergangenen Nacht hatte mich nicht nur die Löwin besucht, sondern auch Sam und seine Totemtiere waren neben meinen Mokassinspuren durch die Traumwelt gegangen. Ich schob diese Gedanken beiseite und versuchte, mir einen doppeldeutigen Text auszudenken – kurz, lieb und auf den Punkt gebracht und so informativ wie möglich. Nachdem sich Sam neuerdings Sir Richard Francis Burton nannte, schrieb ich
die folgenden Zeilen:
Sehr geehrter Dr. Burton,
danke für Ihr Memo. Ihr Team scheint auf dem richtigen Weg zu sein. Auch ich bin besser vorangekommen als im Plan vorgesehen. Der Job, der mir zunächst unhandlich wie ein Walfisch vorkam, ist unter Dach und Fach. Sollte es während meiner Abwesenheit Probleme geben, erreichen Sie mich direkt via IAEA, Faxnummer s. unten. Ich fliege heute um
17.00 von Wien nach Rußland.
Mit freundlichen Grüßen, Ariel Behn
Ich dachte, das dürfte genügen. Ich hatte sein Fax erhalten und verstanden. Das einzige, was wir bei unserer letzten Begegnung «geplant» hatten – weil wir noch nicht wußten, wo sich Pandoras Papiere befanden –, war, daß ich versuchen sollte, Dacian Bassarides persönlich zu sprechen und so viel wie möglich aus ihm herauszuholen. Meine Feststellung, ich sei besser vorangekommen als geplant, würde ihm sagen, daß mir dies gelungen war. Mit der Erwähnung des Wals – der Wal war der schwimmende Hort des Clan-Totemgedächtnisses – teilte ich Sam mit, daß ich das «Geschenk», von dem er aufgrund meines letzten Fax wußte, daß es sich jetzt in meinem Besitz befand, sicher verwahrt hatte.
Ich hätte ihm gern noch mehr mitgeteilt, aber ich schaffte es einfach nicht, in dieser kurzen Zeit all die verzwickten Dinge, die ich über den Rest meiner Familie erfahren hatte, ganz zu schweigen von den heiligen Gegenständen und verschwundenen Städten, in eine verschlüsselte Nachricht zu packen. Wenigstens würde Sam wissen, daß das Spiel begonnen hatte. Nachdem ich mein Originalmemo im Kamin verbrannt und die Reste unter die kalte Asche gemischt hatte, ging ich nach draußen, wo mir Wolfgang auf dem Rasen entgegenkam.
«Wir können fahren», sagte er. «Ich habe unser Gepäck schon im Wagen, so daß wir nicht mehr zurückkommen müssen. Wir können direkt von Melk zum Flughafen fahren. Klaus hat einen Schlüssel und wird aufräumen, wenn wir weg sind.»
«Wer ist Klaus?» fragte ich.
«Mein Hausverwalter», antwortete Wolfgang, während er mir in den Wagen half. Dann schloß er den Kofferraum ab.
Als er sich hinter das Steuer setzte, sagte
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