New York - Love Story
…! Aber wenn Simon sich derart verspätet,
muss ich halt schon mal allein anfangen. Ich schenke
mir einen der Kelche voll und trinke einen großen Schluck.
Jetzt ist mir wenigstens nicht mehr kalt.
Elf Uhr! Ich nehme den Sektkelch mit hinüber zum Bett
und lasse mich in die Kissen fallen. Die Pose, die ich nun einnehme,
fällt deutlich weniger elegant aus als vorher. Dafür ist
sie bequemer. Ich nippe an dem Sektglas und stelle mir vor,
wie Simon endlich durch die Tür kommt, mich sieht und mir
ein hinreißendes Lächeln schenkt. Wir fallen uns verliebt in
die Arme und mit einem innigen Kuss sinken wir auf die Matratze.
Und dann? Blende ich ab. Das wird im Film schließlich
auch so gemacht. Nächste Einstellung: Ein glückliches Paar
wacht in zerwühlten Decken nebeneinander auf. So ungefähr
stelle ich mir das morgen früh vor.
Viertel nach elf. Mein Glas ist inzwischen leer. Ich stehe auf
und fülle noch mal nach. Mit dem Kelch in der Hand drehe
ich mich langsam um meine eigene Achse, bis mein Blick an
einem Plakat hängen bleibt. Newcomer Contest steht in roten Buchstaben über dem verwackelten Foto einer Rockband.
Dasselbe Plakat klebt auch in meinem Zimmer an der Wand.
Denn das war der Abend, an dem Simon und ich uns kennengelernt
haben.
Ich war mies drauf an diesem Tag. Ich hatte zum zweiten Mal
eine Fünf in Englisch nach Hause gebracht und meine Mutter
war stinksauer auf mich. Nur unter der Bedingung, dass ich
gleich am nächsten Tag mit dem Büffeln anfinge, ließ sie mich
mit Maja ausgehen. So läuft das immer bei meiner Mom: Ich
darf eine Menge, solange ich die Schule nicht schleifen lasse.
Vertrauen, lautet ihre Erziehungsmaxime. Aber das Vertrauen
endet da, wo die schlechten Noten anfangen. Wahrscheinlich
hätte ich mich tags drauf sogar tatsächlich mit Vokabellernen
abgemüht, wenn ich nicht an besagtem Abend Simon getroffen
hätte. Stattdessen habe ich, während ich über meinem
Englischbuch saß, nur von dem süßen Simon geträumt.
Seine Band war die letzte, die auftrat, und mit Abstand die
beste. Bis dahin hatte ich grummelnd an der Bar gehockt,
weil ich die Musik nicht mochte, gelangweilt an einer Cola
genippt und Majas Versuche abgewehrt, mich auf die Tanzfläche
zu zerren. Doch in dem Moment, als Simon auf die
Bühne kam und sich hinter sein Schlagzeug setzte, machte
etwas in mir »klick«, und ich konnte nicht mehr aufhören,
ihn anzustarren. Er sah aber auch einfach toll aus mit seinen
hochgestylten schwarzen Haaren, den durchdringenden
blauen Augen und dem engen Shirt mit Band-Logo, das über
seinen Muskeln spannte, während er die Drums bearbeitete.
Simons Band Vision gewann den Wettbewerb, den der
Club ausgeschrieben hatte, und plötzlich stand Simon neben
mir an der Bar und drückte mir mit den Worten »Zeit, mit
den Groupies zu feiern« ein Glas in die Hand. Wie peinlich!
Ihm musste aufgefallen sein, dass ich meine Augen nicht von
ihm abwenden konnte. Doch Simon schien das nicht zu stören.
Im Gegenteil.
Den Rest des Abends wich dieser Wahnsinnstyp nicht von
meiner Seite. Er stellte mich all seinen Kumpels vor und wirkte
dabei so stolz, als hätte er einen Sechser im Lotto gewonnen.
Und so, wie er mich aus seinen knallblauen Augen anschaute,
kam ich mir wirklich vor wie ein Hauptgewinn. Als er mich
schließlich küsste und sein cooler Dreitagebart über mein
Kinn kratzte, fuhr das Blut in meinen Adern Achterbahn, und
ich wünschte mir, dass der Kuss niemals enden würde.
So fing das alles an mit uns. Und seither hatte ich nicht erst
einmal das Gefühl, in einer superschnellen Achterbahn mit
mindestens drei Loopings zu sitzen. Mit Simon zusammen
zu sein, ist aufregend und immer wieder überraschend. Er ist
der spontanste Mensch, den ich kenne. Ich finde das spannend,
obwohl ich normalerweise eine richtige Planungsfetischistin
bin.
»Niki, mach dich locker«, sagt Simon oft zu mir. Eine solche
Aktion wie heute Abend ist normalerweise gar nicht mein
Ding. (Und um ehrlich zu sein, stammt das Gesamtkonzept
eigentlich von Maja!) Aber ich glaube, Simon wird es gefallen.
Und für ihn mache ich das gern!
Es ist kurz vor Mitternacht. Ich wanke ein wenig, als ich
zum Bett zurückkehre. Alkohol vertrage ich nicht so gut, was
vermutlich daran liegt, dass ich fast nie etwas trinke. Und
jetzt gleich zwei Gläser hintereinander, noch dazu auf leeren
Magen … Mein Kopf fühlt sich schon ganz watteweich an.
Müde falle ich auf die Matratze, greife nach der Decke und
ziehe sie bis zum Kinn hoch.
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