New York - MERIAN Portraet
liegt in Corona, einem Mittelklasseviertel von Queens, dem größten Borough von New York. Die ruhige und grüne Wohngegend unterscheidet sich deutlich von Manhattan und Brooklyn. In den Straßen stehen, ähnlich wie in den Kleinstädten des Südens, pastellfarbene Häuser mit Holzverandas. Damals wohnte hier die schwarze »Middle Class«, inzwischen sind Immigranten aus Lateinamerika nachgerückt. Heute ist der Weg von der Subway-Station gesäumt mit Billigläden.
Der große Satchmo – »such a big mouth« – kommt aus einer bettelarmen Familie in
New Orleans
und hat als Kind noch nicht mal ein eigenes Paar Schuhe. Er wächst bei seiner Mutter auf und muss als Siebenjähriger mit dem Austragen von Zeitungen zum Lebensunterhalt beitragen. Als er als Jugendlicher in einer Silvesternacht mit der Pistole seines Onkels in die Luft ballert, kommt er in ein Erziehungsheim, wo er immerhin Kornett spielen lernt. Kein Wunder, dass sich der Musiker fast 40 Jahre später, als er mit seiner zweiten Frau
Lucille
in das hübsche Einfamilienhaus nach
Queens
zieht, glücklich und am Ziel seiner Träume fühlt. Endlich fühlt er sich angekommen!
Armstrongs genauer Geburtstermin lag lange im Dunkeln. Der offizielle Taufschein ist auf den 4 . August 1901 datiert, doch Louis und seine Mutter haben den Tag auf den 4 . Juli 1900 vorverlegt. Als sie damals in den Wehen gelegen sei, so überlieferte die Mutter dem Sohn, da habe sie die Salutschüsse zur Feier des amerikanischen Unabhängigkeitstages hören können. Vermutlich, hält der Guide des
Armstrong Museums
dagegen, seien es aber ganz andere – weniger erfreuliche – Schüsse gewesen, die sich in ihre Erinnerung eingeprägt hatten.
Falsche Datierungen sind damals in den Südstaaten nicht ungewöhnlich. Die Mehrheit der ehemaligen Plantagenarbeiter hat keine Schulausbildung, viele Kinder müssen wie Louis Geld verdienen und lernen weder richtig lesen noch schreiben. Zudem gebären die meisten Frauen ihre Babys zu Hause und geben später fiktive Daten an, die sie der Einfachheit halber – oder um ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit zu demonstrieren – auf offizielle Termine legen. Möglicherweise hat sich Louis auch ein Jahr älter gemacht, um als junger Musiker Zutritt zu den Nachtclubs von Storyville, dem Rotlichtviertel von New Orleans, zu bekommen.
Als der Jazztrompeter mit seiner zweiten Frau Lucille 1943 nach
Queens
zieht, ist er bereits eine Musik-Legende. Er gibt auf der ganzen Welt Konzerte und hat es als erster Schwarzer sogar auf das Titelblatt des renommierten People-Magazins »Vanity Fair« geschafft. Als Botschafter Amerikas tritt der sympathische Louis während des Kalten Krieges in
China
und in der
Sowjetunion
auf und spielt sogar im kriegsgebeutelten
Belgisch-Kongo
. Seine Musikaufnahmen wie »Mack the Knife« aus der Dreigroschenoper, »St. Louis Blues«, »C’est si bon«, »Hello Dolly« und »What a Wonderful World« werden Hits, die Hollywoodfilme, in denen er mitspielt, Kassenschlager. Er könnte sich locker eine repräsentativere Wohnung leisten, was seine Frau Lucille, die aus der Mittelschicht kommt, befürworten würde, doch ihm gefällt es hier. Also konzentriert sich Lucille, die als erste Schwarze im
Cotton Club
von Harlem tanzt, ganz auf den Um- und Ausbau ihres neuen Heims. Sie verkleidet die Wände mit eleganter cremefarbener Tapete und tapeziert sogar das Innere der Wandschränke. Sie engagiert eine Innenarchitektin, die die Einrichtung stets auf dem neuesten modischen Stand hält. Das Holzhaus wird mit Ziegeln verkleidet und Louis, der ein echter »neighborhood guy« und reich genug ist, spendiert den Nachbarn ebenfalls eine schönere Fassade.
Wenn er nicht im
Cotton Club
oder
Apollo Theater
in Harlem auftritt, verbringt Louis mehr Zeit auf Tourneen als Zuhause. Er liebt das Unterwegssein, doch freut sich auch, daheim seine Frau wieder in die Arme zu schließen. Nach ihr muss er meist länger suchen, denn in der Zwischenzeit hat Lucille mal wieder alles umgebaut, Wände eingerissen, Räume umfunktioniert und neu möbliert. »Sweatheart, war da früher nicht mal ein Badezimmer?«–dieser Ausruf von Louis wird zum running gag zwischen den beiden. Sie sind glücklich verheiratet, dass kann man auf den Fotos sehen und auf den Tonbandaufnahmen hören, die Louis wie ein Besessener anfertigt. Er nimmt alles auf, sogar die Gespräche am Mittagstisch.
ALLES IST NOCH SO WIE FRÜHER
Die Armstrongs feiern gern und geben viele Partys. Im eleganten
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