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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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wurde die Tür geöffnet und ich erkannte dieselbe Dirne wie beim letzten Mal. Als sie meine Pistolen sah, rief sie einen Namen, ich weiß bis heute nicht, welchen, worauf ein riesiger Hund mit wildem Gebell aus einem anderen Raum herbeistürzte, was mich völlig überrumpelte, sodass das Tier ohne jeden Zweifel mir oder Doktor Newton an die Kehle gesprungen wäre, hätte ich nicht meine beiden Pistolen auf seinen kastenförmigen Kopf abgefeuert. Ich zitterte noch immer wie Espenlaub, als wir das Haus betraten, in dem der Geruch von Opium hing, denn als solchen wusste ich ihn jetzt zu identifizieren. Nachdem ich zwei Männer an der Haustür postiert hatte, durchsuchten wir das Obergeschoss und fanden eine Reihe kleiner Kammern. In jedem davon lag auf einem schmutzigen Bett ein Mann oder eine Frau und rauchte eine Pfeife, gefüllt mit jene m Mash Allah, dem Gotteswerk, von welchem Newton gesprochen hatte. Zu meiner großen Erleichterung war eine der ersten Personen, die ich sah, die so genannte Nonne, welche zum Amüsement der Männer in dem Raum im Untergeschoss ausgepeitscht worden war. Jetzt war offensichtlich, warum sie diese Erniedrigung auf sich nahm: um der Vergessen schenkenden Pfeife willen, die sie in den geschwärzten Fingern hielt.
    Oates selbst lag in der nächsten Kammer, in eine Pestwolke aus weißem Opiumrauch gehüllt. Als er sah und hörte, dass er verhaftet sei, arbeitete er sich langsam empor. Aber wenn wir gedacht hatten, er würde mit Furcht reagieren und alles abstreiten und tatsächlich waren wir es inzwischen gewohnt, dass die Menschen, die wir verhafteten, auf diese Weise reagierten, so hatten wir uns getäuscht, denn Oates war ganz dumpfe Trägheit und ließ sich von mir widerstandslos die Handeisen anlegen.
    «Aber wir sind uns doch schon einmal begegnet?», sagte er, als
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    wir ihn hinausführten. «Ich hielt Euch doch für Lord Ashley und Euch für seinen Diener.»
    In diesem Moment wandte sich einer der Männer des Lordschatzmeisters an uns.
    «Wohin jetzt, Doktor Newton?», fragte er.
    «Ins Whit», sagte Newton.
    Oates' nahezu reglose Augen glommen auf wie Kohlen. «Es ist mir eine Ehre», sagte er mit einer Verneigung in Newtons Richtung, «vom großen Doktor Newton verhaftet zu werden.»
    Auf dem Rückweg zum Fluss lächelte Oates die ganze Zeit. Wie eine große, schläfrige Schlange, dachte ich. Das weckte denn doch meine Neugier.
    Als wir schließlich über die Themse setzten, konnte ich diese Neugier nicht länger zügeln. «Ich habe den Eindruck, Mister Oates, dass Ihr das alles erstaunlich gelassen nehmt», sagte ich.
    «Eure Verhaftung, das Scheitern Eurer Verschwörung und die Aussicht, im Gefängnis zu sitzen.»
    «Mylord», sagte er grinsend, «da ich nicht weiß, wie ich Euch sonst nennen soll, das Whit und ich sind alte Bekannte. Aber ich glaube nicht, dass ich diesmal sehr lange dort bleiben werde.
    Jetzt, da die Antipathien der Protestanten gegen die Katholiken so stark sind.»
    «Das werden wir sehen», murmelte Newton.
    «Wenn ich fragen darf, wurden wir verraten?»
    «Nur durch Eure eigene Unvorsichtigkeit», sagte Newton.
    «Inwiefern?»
    «Ich habe Eure Briefe entschlüsselt.»
    Oates sah ungläubig drein. «In diesem Fall, Doktor, würde ich Euch bitten, mir doch das Schlüsselwort zu nennen, welches wir benutzt haben.»
    «Gern. Es lautet ‹Blut›.»
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    Oates pfiff durch die Zähne. «Dann stimmt es wirklich, was alle sagen. Dass Ihr der klügste Kopf aller Zeiten seid.»
    «Ich habe sie entschlüsselt, ja», sagte Newton. «Aber ich wüsste dennoch gern mehr darüber, wie diese Chiffre ersonnen wurde.»
    Oates schwieg einen Moment, während seine Überraschung nachließ und der Erinnerung Platz machte.
    «Die ursprüngliche Version ersann ein französischer Diplomat, Blaise de Vigenère, im Jahr 1570. Er war Sekretär König Charles' IX., bis ans Licht kam, dass er Hugenotte war, worauf er den Hof verließ und sich ganz seinen Chiffren widmete. Seine Arbeit wurde dann von Monsieur Descartes aufgegriffen.»
    «Meint Ihr René Descartes, den Philosophen?», fragte Newton.
    «Den Nämlichen, Sir. Er lebte als Student in Poitiers, als Poitiers noch hugenottisch war. Dort stieß ich dann auf die Chiffre. Als ich auf einem französischen Priesterseminar war.»
    «Aber Mister Descartes war doch Katholik?»
    «Mister Descartes' Familie war katholisch, aber er hatte auch enge verwandtschaftliche Bande zu Hugenotten und war sein Leben lang ein großer Freund

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