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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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nur wenige Exemplare in den Umlauf gelangt, aber schon diese wenigen hatten genügt, um die Londoner Bevölkerung in großen Aufruhr zu versetzen und überall sprach man von einer Verschwörung gegen den König. Daher war klar, dass jedwedes Vorgehen gegen irgendwelche Protestanten und seien sie noch so extremistisch und kriminell, eine echte Provokation des Pöbels bedeutet hätte. Also war die Regierung gezwungen, heimlich ein verlässliches Regiment Soldaten aus Nordengland herbeizuholen. Als das getan war, konnte eines Nachts, kurz vor der Rückkehr des Königs aus Flandern, unsere Aktion gegen die Verschwörer beginnen.
    An diesem Abend im frühen November saßen Newton und ich in dem Haus in der Jermyn Street beim Damespiel, als plötzlich ein Eilbote einen Brief von Lord Halifax brachte. Sobald Newton diesen Brief gelesen hatte, war er ganz Energie und Zielstrebigkeit.
    «Kommt, Ellis, nehmt Hut und Mantel, jetzt ist der Zeitpunkt da, diese Verräter zu verhaften. Die Suche nach Jakobitern ist eingeleitet», erklärte er. «Die Festnahmen sind bereits im Gange. Laut Mylord Halifax' Schreiben steht der Tower unter Ausgangssperre und innerhalb wie außerhalb der Festungsmauern wurden zahlreiche Männer verhaftet. Wir sind beauftragt worden, diese elende Kreatur von Oates festzunehmen.»
    «Sir», sagte ich, während ich mich bis an die Zähne bewaffnete.
    «Wollt Ihr nicht selbst eine Waffe tragen?»
    «Wenn ich das täte, hätte ich selbst wohl mehr von mir zu befürchten als jeder Schurke, auf den wir treffen könnten», wies er die Pistole, die ich ihm anbot, zurück.
    Wir fuhren zum Axe Yard, in der Nähe des St. James's Park und entlang dem gesamten Weg wirkte London wie eine Stadt im
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    Belagerungszustand. Marschkolonnen zogen durch die Straßen.
    In Whitehall und Somerset House waren die Wachen verstärkt worden und rings um Ersteres waren Kanonen postiert. Die Tore des Temple waren verschlossen, die Durchfahrten verbarrikadiert, sodass ich schon fürchtete, Mister Oates könnte, wenn er den ganzen Aufruhr hörte und sah, die Flucht ergreifen.
    «Macht Euch deswegen keine Sorgen», sagte Newton. «Er wurde die ganzen letzten Wochen von Lord Halifax' Männern genauestens observiert und uns bleibt jetzt nur noch die Ehre, den Hauptverschwörer in Gewahrsam zu nehmen.»
    «Aber wird denn der Pöbel die Verhaftung so vieler Protestanten zulassen?», fragte ich.
    «Es wurde verbreitet, die Verhafteten seien allesamt Papisten», erklärte Newton, «aufrührerische Engländer oder französische Spione. Während es in Wahrheit ebenjene französischen Hugenotten oder Grünbändler sind, welche das Massaker an den Londoner Katholiken planten.»
    Was mir denn doch eine höchst unaufrichtige und machiavellistische Art des Regierens schien.
    Vor Mister Oates' Haus zog ich eine meiner Pistolen und spannte sie, ehe ich laut an die Tür pochte. Inzwischen war ich, was Verhaftungen anging, ein alter Hase und hatte daher Halifax' Männer auf die Rückseite des Hauses geschickt, damit uns Oates nicht auf diesem Wege entschlüpfte.
    «Im Namen des Königs! Aufmachen!», rief ich und schob dabei mit der freien Hand Newton hinter mich, für den Fall, dass Schüsse fielen. Als die Tür nicht geöffnet wurde, befahl Newton schließlich den Männern des Lordschatzmeisters, die Tür einzutreten, was mit solchem Getöse geschah, dass sämtliche Anwohner des Axe Yard aus ihren Häusern kamen. Ich betrat das kleine Haus und Newton und die Übrigen folgten mir in sicherem Abstand. Aber das Haus war leer.
    «Ich fürchte, der Vogel ist ausgeflogen», sagte ich, als ich
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    wieder herunterkam, nachdem ich das Obergeschoss durchsucht hatte. «Diese Stümper haben es verpatzt. Oder sie haben sich bestechen lassen.»
    Newton inspizierte eingehend den Kopf einer alten Tonpfeife.
    «Merkwürdig», murmelte er, kratzte dann den Inhalt mit dem Fingernagel heraus und kostete davon.
    «Verpatzt», rief ich, an die im Haus befindlichen Männer des Lordschatzmeisters adressiert. «Denn Bestechungsgeld anzunehmen, würden sie sich nicht getrauen.»
    «Nicht ausgeflogen, würde ich sagen», bemerkte Newton schließlich. «Nur ausgegangen.» Er zeigte auf eine hübsche silberne Schnupftabaksdose, welche auf dem Tisch lag. «Ich glaube nicht, dass er diese da zurückgelassen hätte, wenn er für immer weggegangen wäre.»
    «Dann können wir ja hier auf ihn warten», sagte ich.
    Newton schüttelte den Kopf. «Ganz London ist in Aufruhr»,

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