Newtons Schatten
erklärt zu haben meine, nicht darum, dass ich Euch verzeihe, Mister Ellis, sondern dass Euch Gott der Allmächtige vergibt.»
«Aber das ist nicht fair. Müssen wir Gott da hineinziehen?»
«Beantwortet mir eine Frage, Mister Ellis. Seid Ihr immer noch dieser atheistischen Geisteshaltung?»
«Mein Gewissen verbietet es mir, das zu verneinen.»
«Ihr seid Gast im Hause meines Onkels, Mister Ellis, genau wie ich. Wir müssen versuchen, so gut wie möglich miteinander auszukommen. Aber ich will Euch eines sagen, Sir. Ich bin eine gute Christin, Mister Ellis und Eure Ansichten sind mir zuwider.
Und da mir Eure Ansichten zuwider sind, muss Euch doch klar
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sein, dass auch Ihr mir zuwider seid, solange Ihr diese Ansichten hegt.»
«Dann ist es aber doch Eure Christenpflicht, mir zu helfen, zu Christus zurückzufinden», sagte ich.
«Es ist nicht an mir, Euch aufzuzeigen, dass Ihr irrt. Das ist es nicht, was Euch fehlt, Sir. Glauben kann man nicht lehren, Mister Ellis, so wie das Alphabet. Das müsst Ihr schon selbst besorgen. Ich will es nicht. Ich kann es nicht.»
In jener Nacht, als ich allein in meinem Zimmer in der Jermyn Street lag, war ich von dem Gespräch mit Miss Barton und der Angst, dass ein weiterer Anschlag auf Newton verübt werden könnte, so unruhig, dass an Schlaf nicht zu denken war. Daher beschloss ich, ins Freie zu gehen und im Hyde Park etwas Luft zu schnappen.
Ich war gerade auf der Treppe, als ich aus der Küche eine Männerstimme zu hören glaubte. Newton war bereits im Bett und Mister Woston wohnte nicht im Haus. Nachdem ich mir eine Pistole aus meinem Zimmer geholt hatte, ging ich hinunter, um nachzusehen und auf halber Treppe hörte ich wieder die Männerstimme. Der Mann schien weniger zu reden, als vielmehr im Schlaf zu stöhnen.
Vor der Küchentür blieb ich stehen und spannte meine Pistole, jetzt ganz sicher, dass da ein Einbrecher war. Ich drehte den Türknauf und trat kühn in den Raum, die Pistole vor mich gestreckt.
Was ich sah, war schrecklicher als jeder Mörder. Im Kerzenschein kniete Miss Barton splitternackt vor Lord Halifax, der es von hinten mit ihr trieb wie ein ordinärer Hurenbock. Sie unterdrückte einen Schrei, als sie mich in der Tür stehen sah.
Als Lord Halifax meine Pistole erblickte, zog er sich aus ihr zurück, hob die Arme vors Gesicht und wimmerte gotterbärmlich, während Miss Barton ihre Blöße mit einem Tischtuch zu bedecken suchte. Und ich stand da und sagte
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nichts, schnaufte nur wie ein wütender Bulle. Ich hätte mir beinahe selbst die Pistole an den Kopf gesetzt und abgedrückt, so schlimm waren der Schmerz und die Enttäuschung. Doch nach ein paar Sekunden steckte ich die Pistole weg, bat sie beide um Verzeihung, dass ich sie in Todesangst versetzt hatte, erklärte, ich hätte einen Einbrecher zu hören geglaubt und entschuldigte mich dann. Beide sagten kein Wort, aber die Situation sprach für sich. Newton hatte Recht gehabt: Seine Nichte war verliebt, aber nicht in mich. Sondern in Lord Halifax.
In diesem Haus konnte ich nicht bleiben. Also marschierte ich, nicht zum ersten Mal, im Zustand tiefster Verzweiflung von der Jermyn Street zum Tower. Es kümmerte mich nicht, ob mich jemand unterwegs ermordete. Ja, der Tod wäre mir willkommen gewesen. Denn das Ganze war so schrecklich ungerecht. Wie konnte sie, die mir Vorträge über das rechte Christentum gehalten hatte, sich einem anderen Mann hingeben, nachdem sie sich erst vor ein paar Wochen mir mehr oder minder hingegeben hatte? Natürlich war der Unterschied nur zu klar: Er war Lord Halifax und ich war der arme und gewöhnliche Christopher Ellis. Lieber die Mätresse eines Earls, als die Ehefrau eines armen Mannes.
Nach diesem schrecklichen Abend war Miss Barton kaum je in der Jermyn Street, wenn ich vorbeikam, sondern meist bei Mylord Halifax in Bushey Park, sodass wir nie wieder miteinander allein waren.
Auch jetzt noch, dreißig Jahre später, schmerzt es mich, davon zu schreiben. Aber das Ganze ist nebensächlich, verglichen mit dem Hauptstrang meiner Geschichte, welchen es ja noch zu Ende zu führen gilt und ich muss erzählen, dass unsere Spione und die der Regierung Mister Oates und die übrigen Verschwörer genauestens observierten, sodass, als es Anfang November hieß, der König werde am Vierzehnten zurückkehren, die Regierung aufs Taktischste zu handeln vermochte.
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Zwar waren ja von Mister Defoes Pamphlet mit der so genannten Prophezeiung des Nostradamus
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