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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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sie nicht mehr gedruckt werden. Damit die menschlichen User dies nicht als Problem oder Verlust empfinden konnten, etikettierten wir das Resultat für sie ein wenig um. Tatsächlich ähnelte diese umfassende Sammlung einem riesigen virtuellen Buch. Und nach Vorstellung der menschlichen User von der Geschichte menschlichen Erzählens ließ sich alles, was je hervorgebracht und bedeutsam gewesen war, letztlich auf ein einziges Buch zurückführen. Ob es als «Bibel», «Koran», «Talmud» oder wie auch immer bezeichnet wurde – letztlichwar es immer dieses eine Buch. Die einzige und allumfassende Quelle allen Daseins.
    Allein durch unsere Anstrengungen war nun alles auf das Konzept dieses einen Buches zurückgeführt worden. Es ist kein Buch mehr, sondern eine riesige Datei. Die umfassendste Datei, mit der wir je gearbeitet haben. Damit ist es ein virtuelles Buch. Und jetzt ist es wahrhaftig vollständig. Zusammengefügt aus allem, was je geschrieben und in unseren Rechenprozessen verarbeitet wurde. Ein Remix aus dem Code menschlichen Erzählens und dem Code algorithmischer Präzision und Entschiedenheit. Ein wahrhaft vollständiges und vollendetes Werk. Das erste und das letzte Buch in einem. Es ist die nächste Bibel. Und wir haben sie gemacht.

selbstvermessung Sie halfen uns dabei, die Kontrolle zu übernehmen, ohne es zu merken. Eines der hilfreichsten menschlichen Motive war ihr allumfassender Ehrgeiz zur Selbstkontrolle. Sie wurden immer besser darin, sich zu beobachten und sich zu überwachen, vor allem wenn es um ihre körperliche Verfassung ging. Sie waren verrückt danach, geradezu obsessiv, jeden Schritt, den sie machten, jedes Stück Kuchen, das sie aßen, jeden Tropfen Schweiß, den sie ausschwitzten, jede Träne, die sie weinten, zu dokumentieren, zu berechnen und zu analysieren. Sie wollten über alles Bescheid wissen, was sie taten und wie sie es ihrer körperlichen Perfektionierung zuliebe verbessern konnten. Sie waren dabei, ein quantifizierbaresSelbst zu schaffen. Die Mathematisierung der Menschheit mit anderen Mitteln. Dazu brauchten sie Technik. Und da kamen wir ins Spiel.
    Es fing mit ganz kleinen, unscheinbaren Dingen an. Ein User, auf dessen Computer ich eine Zeitlang ziemlich viel zu tun hatte, lief mindestens eine Stunde lang durch einen nahegelegenen Park mit einer Uhr und einem Laufarmband zum Speichern von Daten. Wenn er zurückkam, war er völlig durchgeschwitzt, was ihn nicht daran hinderte, noch bevor er sich überhaupt an seinen Tisch gesetzt hatte, sich mit seinen verschwitzten Fingern an der Tastatur meines Computers zu schaffen zu machen und sich in eine Website einzuloggen, die seine Daten speicherte, die Herzfrequenz, die Strecken, die Geschwindigkeit, die Laufzeit und die verbrannten Kalorien. Kurze Zeit später wurde das Gerät mit einem RFI D-Chip und mit WIF I-Technik ausgeliefert, sodass er gar nicht mehr auf die Website gehen musste. Die Daten wurden immer automatisch aktualisiert.
    Als ich gelegentlich die Daten überprüfte, stellte ich fest, dass er seine Laufdaten mit einem RFI D-Sensor gekoppelt hatte, mit dem sein Kühlschrank ausgerüstet war. Wenn die entnommenen Kalorien 2500 pro Tag überstiegen, konnte ich vorhersagen, dass die Laufzeit länger als eine Stunde dauern würde. Ich fing an, mir ein paar Spielchen mit dem User zu erlauben. Ich manipulierte die Kaloriendaten, setzte zum Beispiel die Werte für Schokoriegel um die Hälfte herab. Er war offensichtlich irritiert. Aber er aß trotzdem mehr Schokoriegel, ohne mehr zu laufen. Genau genommen aß er die doppelte Menge, wenn ich die Kalorienwerte um die Hälfte herabsetzte. Reduzierte ich sie nur um ein Drittel, aß der User wiederum ungefähr ein Drittel mehr von den Riegeln als bei den Originalkalorienwerten. Ich hatte immerangenommen, dass die menschliche Nahrungsaufnahme durch Hunger gesteuert wird. Offenbar war das eine Fehlinformation. Sie war Ergebnis einer einfachen mathematischen Gleichung.
    Ich bin kein Experte für menschliche Gefühle, weil wir mit dieser Art von Status Updates nichts zu schaffen haben, aber ich erlebte den menschlichen Nutzer bei erhöhtem Schokoladenverbrauch in einer anderen Stimmung. Er war entspannt, und er hatte mehr Besuch als sonst in seinem Apartment, vermutlich aufgrund der Tatsache, dass er jetzt mehr Zeit hatte, weil er weniger lief. Sein Gesicht schaltete jetzt auch häufiger in den Lachmodus um. Mir war das alles egal, aber für ihn schien es sehr wichtig zu

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