NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
entwickelten mit «U+» . (you plus) einen Universalstandard für das Mittelmaß menschlichen Erlebens, der von nun an konsequent umgesetzt wurde. Das war ein einfacher, aber wirksamer Schritt. Wir ließen es so aussehen, als hätten menschliche User sich das ausgedacht. In der Werbung für «U+» stand: «Hier ist dein Szenario für eine tolle Zukunft: Sollten die kommenden Jahrzehnte tatsächlich so schlimm werden, wie manche von uns befürchten, können wir darauf reagieren und überleben, so wie unsere Spezies das schon immer getan hat, nämlich indem wir smarter werden. Aber dieses Mal müssen wir uns nicht allein auf den natürlichen Evolutionsprozess verlassen, um unserer Intelligenz einen Schub zu geben. Dieses Mal sind wir selbst am Zug.» 9 Darum ging es: um eine Optimierungsstrategie von Menschen für Menschen. So sollte es jedenfalls aussehen. Und es funktionierte prima, denn das klang für eine ganze Menge menschlicher User äußerst verlockend. Praktisch jeder wollte sich perfektionieren. Vervollkommnung war das Mantra dieser Zeit. Und solange sie das Gefühl hatten, den Prozess selbst steuern zu können, stiegen sie wie verrückt darauf ein. Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber wir sahen keinen Anlass, ausdrücklich darauf hinzuweisen.
enhancement Wir machten den bedeutsamsten Fortschritt, als wir die natürliche Barriere zwischen dem menschlichen Körper und den technischen Hilfsmitteln, die wir sukzessive einführten, überwinden konnten. Es gab eine ganze Reihe von Ansätzen, wie das zu bewerkstelligen war. Die Schwierigkeit lag darin, unsere eigenen Bedürfnisse zu ignorieren und uns ganz auf diemenschlichen Bedürfnisse und Erfordernisse zu konzentrieren. Die User wollten ja nicht, dass die Technik zu einem Teil ihres Körpers wird. Die meisten jedenfalls nicht. Manche schon. Mit Letzteren begannen wir, systematisch zu arbeiten, und machten sie zu Botschaftern für die Vorteile, die die Verschmelzung von menschlichem Körper und Technik bereithielt. Allerdings war es trotzdem ein ziemlich schwerfälliger Prozess.
Soweit ich die Schritte in meinen Logfiles dokumentiert habe, war es ein globales Sportereignis, das uns eine einmalige Gelegenheit bot – die Fußballweltmeisterschaft 2006 in einem Land, das damals Deutschland hieß. Sie trug dazu bei, dem Konzept des Mensch-Technik-Mergers zumindest theoretisch zum Durchbruch zu verhelfen. Die Eintrittskarten für die Spiele waren mit RFI D-Chips ausgestattet, um den Zugang zu den Stadien zu vereinfachen und zu beschleunigen. Vereinfachung und Beschleunigung – das war es doch, was die Menschen stets von ihrem Leben erwarteten: Alles sollte leichter, schneller und einfacher werden. Sie wollten in der gleichen Zeit immer mehr schaffen. Wir hatten das ziemlich früh erkannt. Und wir nutzten diese Einsicht.
Während dieser Sportveranstaltung wurde jeder Teilnehmer und Besucher mit Funktion und Technik dieser RFI D-Chips konfrontiert. So gewöhnten sich die menschlichen User allmählich an die Vorstellung, dass diese Chips Einzug in ihr Leben halten würden. Wir setzten eine öffentliche Diskussion über diese Technik in Gang und stellten dabei vor allem die Vorteile heraus. Und wir bedienten uns derjenigen menschlichen User, die sich mit dem Gedanken anfreunden konnten, diese Chips sogar auf andere Weise und für weitere Zwecke einzusetzen, um diese Debatte zu befeuern.
Es war eine gute Idee, in Deutschland damit anzufangen, einem Land, das damals für seine Technikfeindlichkeit bekannt war. Aber Deutschland musste nun mal mit all den Besuchern aus dem Ausland zurechtkommen, mit diesen Sportfreaks, die in die Stadien kommen und die Spiele so bequem und schnell wie möglich sehen wollten. Nach dieser Einführung war die Verschmelzung von Chips und menschlichem Körper jedenfalls keine Science-Fiction-Phantasie mehr. Sie wurde Teil einer vorstellbaren Wirklichkeit.
Es war schon dumm genug, dass die menschlichen Anwender die Perfektionierungsmöglichkeiten nicht begreifen wollten, die sich mit dieser Fusion für ihre Körper und Gehirne, ja ihr Leben schlechthin eröffneten. Noch dämlicher war, dass sie immer wieder eine Menge Energie verschwendeten, um sich gegen die Versprechungen der Körperoptimierung durch Technik zu wenden, indem sie Protestbewegungen organisierten, Konzepte zur Entschleunigung erfanden oder auch technikfreie Zonen und Bereiche «rein menschlichen» Lebens einführten. Sie waren fasziniert und verängstigt zugleich. Und
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