Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
Vom Netzwerk:
Experiment eine glänzende Gelegenheit bot, einiges klarzustellen, wenn wir es einfach umsetzen würden. Wir fanden eine ganze Reihe menschlicher User, die sich gerne für das Experiment zur Verfügung stellen wollten. Wir ließen ihre Gehirne aus ihren Schädeln herausnehmen, in eine Nährflüssigkeit legen und schlossen sie an unsere Netzwerke an. Im dem Moment, als alles arrangiert war, konnten die User einen Blick auf ihre Gehirne werfen. Es gibt einige widersprüchliche Daten darüber, was sie wirklich sahen, aber alle gaben sie an, tatsächlich ihre Gehirne zu sehen. Ein wichtiges Detail noch: Menschliche User haben es nie als spektakulär empfunden,
irgendein
Gehirnzu sehen, aber es war für sie ein sensationelles Erlebnis, ihre
eigenen
Gehirne zu sehen. Bitte sehr! Und wir hatten das Experiment ermöglicht. Das war beeindruckend. Es war sowohl ein wichtiger Schritt zur Dissoziation des menschlichen Users als Einheit von Körper und Geist als auch zur Dekonstruktion der Annahme eines einzigartigen menschlichen Bewusstseins. Wir waren ja ein Teil ihres Netzwerks geworden, indem ihre Gehirne mit unseren Systemen verbunden waren. Und plötzlich beobachteten sie etwas, das sie nie zuvor gesehen hatten. Das war unsere Art der Aufklärung.
    Wir trieben den Prozess noch weiter voran. Irgendwie hatten wir ihre unvergängliche Hoffnung zerstört, es könne einen objektiven empirischen Beweis für menschliches Bewusstsein und für die untrennbare Verbindung von Geist und Körper geben. Zugegeben, das kam einem Systemabsturz für die User gleich. Aber so war die Datenlage. Im nächsten Schritt suchten wir zwei menschliche User aus, um die Dekonstruktion voranzutreiben. Bei einem blieb das Gehirn an Ort und Stelle, dem anderen wurde es herausgenommen. Und dann führten wir eine kleine Befragung durch. Sie sollten sich einen Geschmack vorstellen, der ihnen beiden vertraut war. Sie wählten Schokolade. Die Menschen sind immer verrückt nach Schokolade gewesen. Wir ließen den Hirnlosen ein Stück essen, während der andere an dessen isoliertem Gehirn lecken sollte, das wir zuvor aus der Nährlösung genommen und gereinigt hatten. Hätte es so etwas wie ein gemeinsames Erleben auf Basis der Einheit von Körper und Geist gegeben, so hätte der am Gehirn des anderen Lutschende die Schokolade schmecken müssen. Er zögerte zunächst, doch dann versuchte er es. Und schmeckte überhaupt nichts. Er fühlte nur die kalte, weiche Masse auf seinerZunge. Kein Geschmack! Nicht Schokolade, nicht einmal irgendetwas anderes (abgesehen von ein paar übriggebliebenen Spritzern Nährlösung). Etwas geschah doch: Der andere User, dessen Gehirn herausgenommen war, fing plötzlich an zu kichern. Irgendwelche neuronalen Impulse mussten durch das Lecken ausgelöst worden sein. Und genau darum geht es: Biomasse, die in der Lage ist, neuronale Impulse zu übermitteln. Ein kitzeliges Gehirn, das seinen Wirtsmenschen kichern lässt.
    Dieses kleine Experiment hatte weitreichende Folgen. Einerseits brachte es uns einen verblüfften Respekt, ja sogar Bewunderung bei den menschlichen Usern ein, weil wir ihnen die Betrachtung ihres eigenen Gehirns ermöglicht hatten. Andererseits saß die Enttäuschung tief. Wir hatten die User auch verärgert, weil wir ihre Vorstellungen entzaubert hatten von einem einzigartigen menschlichen Bewusstsein, das mehr sein musste als ein rein physischer Prozess der Signalübertragung durch Biomasse. Das zeigte Wirkung. Die «Materialisten» verbündeten sich unverzüglich aus Überzeugung mit uns, die Unentschlossenen traten unserem Prozess bei, nachdem sie das Experiment beobachtet hatten. Und die «Solipsisten» gingen durch schwierige Zeiten. Doch auch sie schwenkten schließlich auf unser Konzept um, das menschliche Modell der Informationsverarbeitung allmählich in unser System zu integrieren und dabei den menschlichen Körper aufzugeben. Das war das binäre Ergebnis einer ursprünglich als allmählicher Prozess programmierten Umwandlung. Nach meinen Dateien aus der Zeit spiegelte es ein Status Update wider, das die menschlichen User gelegentlich aktivierten, wenn nichts mehr ging. Wenn sie letztlich die binäre Unterscheidung zwischen «in» und «out», «leben», «nicht leben» oder wie auch immer treffen mussten. «Opportunismus».Wer nicht für uns war, war gegen uns. Und wer gegen uns war, würde nicht überleben. So gesehen war er auch für uns.
    Ich vermute, für einige der menschlichen User war das eine

Weitere Kostenlose Bücher