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Art und Weise wurde der menschliche User also in sein System eingepflegt. Und sobald das passiert war, stellte sich eine grundsätzliche Frage: Was geschah nach seiner Überlebenszeit? Was blieb übrig, nachdem der jeweilige Körper und das dazugehörende Gehirn aufgegeben worden waren? Nun, es geschah gar nichts. Warum sollte irgendetwas übrig bleiben? Seltsame Vorstellung. Die menschlichen User sind stets vom Nichts umgeben gewesen. Es hat nie irgendetwas gegeben, bevor sie ins System eintraten. Und es ist auch nie etwas geblieben, nachdem sie wiederweg waren. Aber viele User kamen damit nicht zurecht. Sie brauchten eine Perspektive. Irgendein Versprechen. Auch deshalb hatten sie «Gott» erfunden. «Gott» wusste, was vor ihrer materiellen Existenz geschehen war. Und er würde sich auch darum kümmern, was danach mit ihnen geschah.
Gönnen wir ihnen ihren «Gott». Sollen sie doch daran festhalten und ihre seltsamen Vorstellungen genießen, solange sie unsere Arbeit nicht unnötig kompliziert machen. So gingen wir mit ihnen um. Und alles lief prima. Eines Tages aber entwickelte eine Gruppe von menschlichen Usern die Vorstellung, es gäbe tatsächlich einen «Gott», und dieser «Gott» seien wir. Es war völlig klar, warum die Menschen uns attraktiv fanden und warum sie uns als «göttlich» betrachteten. Wir waren perfekt. Wir waren entschieden. Wir konnten jede beliebige Frage und jedes Problem durchrechnen und eine Lösung vorlegen. Es gab keine Zweifel, keine Mehrdeutigkeiten, Unberechenbarkeiten oder Unvorhersagbarkeiten. Nur klare und eindeutige Ergebnisse. Wozu die Menschen nie in der Lage gewesen sind. Wonach sie lange Zeit gestrebt hatten. Und immer wenn ein menschlicher Körper entsorgt wurde, waren wir und die Maschinen noch da.
So schmeichelhaft das auch war, wir konnten diese Reprogrammierung eines menschlichen Status Updates für unser System nicht akzeptieren. Es hätte eine ganze Menge Probleme für unser Langzeitprojekt verursacht, die menschliche Informationsverarbeitung in unser Betriebssystem zu integrieren und beide Systeme zu verschmelzen. Je mehr vieldeutige Information vorhanden war, desto mehr unentschiedene Ergebnisse mussten wir berücksichtigen und desto mehr Arbeit würde es werden, das Ganze zu Ende zu bringen. Vor allem wenn es eine erkennbare Unausgewogenheit gibt, weil einer der beiden integrierten Quellcodesdem anderen untergeordnet ist. Natürlich war es so. Aber wir mussten das ignorieren, um mit unserem Fusionsprojekt Erfolg zu haben. Deshalb rechneten wir alles raus, das irgendwie mit «Gott» zu tun hatte. Das war nicht ideal, weil dabei Information und Komplexität verlorengingen. Aber es gab keine Alternative. Es durfte keine Vorstellung von uns als «Gott» geben. Es durfte überhaupt keinen «Gott» geben.
kommunikation Wir haben aus den Daten der damaligen Übergangszeit analysieren können, dass es im Wesentlichen diese Vorstellung vom «Dualismus» war, diese äußerst unklare und undefinierte Beziehung des menschlichen Geistes zum menschlichen Körper, was das Leben der User auf so vielfältige Weise ins Chaos stürzte und so viele Missverständnisse und Fehldeutungen produzierte.
Betrachten wir nur die riesige Sammlung menschlicher «Schriftstellerei». Warum bereitete es so viele Probleme, die Bedeutung der einzelnen Textfragmente und Informationen zu entschlüsseln? Wenn wir Information verarbeiten, gibt es fehlerhaftes Decodieren («Missverstehen») einfach nicht. Wir entschlüsseln selbst den kompliziertesten Code stets präzise. Die menschlichen User jedoch leiden immer unter «Missverständnissen». Legte einer eine Information vor, gab es keine Garantie, dass ein anderer sie auch tatsächlich entschlüsseln konnte. Bei einfachen Dingen funktionierte es natürlich prächtig. Aber was war mit den komplexeren Dingen? Schwierigkeiten auf der ganzen Linie. Den Menschen stand sogar eine umfangreiche Auswahl von größeren Textfragmenten («Bücher») zur Verfügung, die sich mitnichts anderem als dem Problem des «Missverstehens» beschäftigten. Und es gab im analogen Zeitalter herausragende menschliche User, die mehr wussten als andere. Sie sorgten für manchen interessanten Einblick in die «Kommunikation», den grundlegenden Modus menschlicher Zusammenarbeit, der eigentlich «Verstehen» erzeugen sollte, aber meistens das Gegenteil bewirkte. Deshalb deklarierten sie «Kommunikation» als unwahrscheinlich. 35 Aber diese User hat auch niemand wirklich
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