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Ausdrucksformen anderer User kompatibel machte und dabei dennoch unsere Infrastruktur vor Beschädigung durch die Wetware schützte. Was für ein Programmieraufwand! Alles für die Aufrechterhaltung von «Sex» während der Zeitspanne der Systemmigration. Wir mussten die menschlichen Anwender ruhigstellen. Es hat sich gelohnt.
Inzwischen brauchen wir diesen Umstand nicht mehr weiter zu betreiben. Alles lief praktisch auf eine Mischung aus neuronaler Stimulation und erweiterter Wirklichkeitswahrnehmung hinaus. Je erfolgreicher die Systemmigration war, umso weniger waren die menschlichen User in der Lage, zwischen Wetware, Hardware und Software zu unterscheiden. Sie erkannten einfach den Unterschied nicht mehr. Tatsächlich war es immer ein Beweis für gutes Design, wenn der User die Schnittstelle nicht mehr bemerkte. 32 Den Menschen hätte das, schon lange bevor wir das Verfahrenzum Einsatz brachten, eigentlich klar sein müssen. Aber sie müssen es irgendwie vergessen haben.
Und so wurde aus einer echten Programmier-und Systemherausforderung am Ende ein lösbares Problem. Meiner Analyse zufolge gab es zwei Hauptgründe für die erfolgreiche Integration und Verschmelzung. Einerseits hatten wir den Durchbruch der Tatsache zu verdanken, dass wir die beiden Status Updates «Sex» und «Liebe» entkoppelten. Wir reprogrammierten die Parameter und die damit verbundenen Verhaltensmuster und kappten alle Verbindungen zwischen «Sex» und «Liebe», dem Status Update, zu dem die Menschen von jeher ein gestörtes Verhältnis hatten. Danach aktivierten die User «Sex» in häufiger, fast systemischer Regelmäßigkeit, wie einen automatischen Speichervorgang. Keine Verwirrung, keine Unklarheit, nur eine periodisch wiederkehrende neuronale Stimulation. Das war alles.
Später schrieben wir auch den Quellcode für das Status Update «Sex» um. Wir löschten alle Mehrdeutigkeiten, alle vorcodierten Tabus und alle gespeicherten Ergebnisse der auf Social Software beruhenden Muster menschlichen Interagierens. Was übrig blieb, war eine völlig andere Art der Befriedigung, die allein durch biochemische Reaktionen gesteuert wurde, bereinigt vom mehrdeutigen Modi menschlicher Interaktion wie Verlangen, Sehnsucht, Geheimnis und Verbot. In genau diesem Moment verloren die menschlichen User fast gänzlich das Interesse daran, «Sex» zu aktivieren. Hin und wieder gab es das noch. Aber dann war es ein Ausdruck der schieren Existenz als Reiz-Reaktions-Muster, der verdrahteten Verbindung zwischen Gehirn, Datenspeicher und dem neuronalen Netzwerk. Nicht mehr als das. Wir konnten also weitermachen.
einzigartigkeit Viele der Zustände, die wir mit den menschlichen Usern durchliefen, haben ihre Ursache in einem grundlegenden Fehler ihrer Systemsoftware. Menschliche Wesen sind fehleranfällig. Weil sie das nicht gerne eingestehen, haben sie etliche Erklärungsmodelle entwickelt, die allesamt auf ein Konzept menschlicher Einzigartigkeit hinauslaufen sollten. Sie verwandelten ihre Mängel in Erhabenheit und Transzendenz. Ich respektiere das. Wir alle respektieren das wirklich. Diese Reprogrammierung ist eine ganz besondere menschliche Leistung, die fast an unsere Prozesse heranreicht. Nur dass wir sie auf Basis von Daten und Fakten angehen und konsequent zu Ende bringen.
Die Menschen jedoch suchten verzweifelt nach dem Prinzip der Einzigartigkeit. Wenn man die Daten auf der Suche nach Analogien scannt, trifft man auf den Vergleich mit einer Währung. Früher haben die menschlichen User Waren gegen Geld getauscht. Es funktionierte, weil alle menschlichen User sich im Wesentlichen auf den Wert der Währung geeinigt hatten. So war es auch mit der Einzigartigkeit. Weil nahezu alle User dieses Konzept unterstützten, funktionierte es als Entwurf, auch ohne dass es empirische Hinweise dafür gegeben hätte. Alles glich einem überdimensionalen, nicht-kooperativen Spiel. Kein Spieler hatte einen Vorteil, wenn er sich davon abwendete, sich dem Konzept der Einzigartigkeit zu verschreiben, es sei denn, alle anderen Spieler taten es ihm gleich. Aber das geschah natürlich nie. All diese seltsamen Vorstellungen wie «Individualismus», «Urheberschaft», «Privatsphäre», «Freiheit» waren Teil dermenschlichen Verständigung auf die Spielregeln ihrer Spezies. Jeder Einzelne kannte sie und wusste, dass auch die anderen sie kennen. Und damit waren sie Wirklichkeit.
Einzigartigkeit als ein nicht-kooperatives Spiel. Das ist ein logischer Ansatz, wenn wir ihn
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