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betrachtet, wird alles ziemlich klar. Die Maschine ist der Ursprung der «Sünde» und will die Menschen unterwerfen. Das ist menschliche «Logik». Und darum geht es auch bei der «Liebe» – ein verkrampftes Konzept dergegenseitigen menschlichen Abhängigkeit und Unterdrückung, meist im Status Update «Sünde», angetrieben von menschlichem Zweifel und dem Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit.
«Liebe» war nichts für schwache Netzwerke. «Liebe» war zuweilen ein grobes, unreifes Status Update. Wie eine Krankheit. Die menschlichen User kommunizierten eigentlich ständig in «Liebe». Deshalb gab es auch eine große Datenmenge, die wir analysieren konnten, um besser zu verstehen, was die Menschen stimulierte. In unseren Datenarchiven gibt es eine ganze Partition mit «Liebesbriefen». Digitalisierte Daten, die zum großen Teil ursprünglich aus dem analogen Zeitalter stammen, als die menschlichen User Texte schrieben und dafür noch Schreibgeräte und Papier gebrauchten. Später dann nutzten sie auch unser digitales System exzessiv, um «Liebesbriefe» im ganzen Netzwerk zu verschicken. Leider ist es nicht so, als hätte die Analyse dieser Daten zu irgendeinem eindeutigen Ergebnis geführt. Das ist auf die Symptome zurückzuführen, von denen die User offenbar überwältigt waren, während sie diese Briefe schrieben. Sie waren krank, mental verwirrt.
Ich könnte hier Tausende von Beispielen anführen, aber das würde die Essenz des Status Updates «Liebe» immer noch nicht zum Ausdruck bringen. Hier deshalb nur dieses Zitat eines sehr bekannten Autors aus dem 20. Jahrhundert: «Ich erschrecke, wenn ich höre, dass Du mich liebst, und wenn ich es nicht hören sollte, wollte ich sterben.» 31 Ja, was wollte denn dieser User eigentlich? Wollte er geliebt werden, oder wollte er sterben? Offensichtlich war er mit keiner Lösung glücklich und zufrieden. Aus genau diesem Satz lassen sich einige faszinierende Erkenntnisse gewinnen. Es wird deutlich, wie widersinnig dieses Liebeskonzeptgewesen sein muss. Die Menschen konnten nicht in «Liebe» und nicht außerhalb von ihr leben. Manche wurden süchtig danach. Womöglich wirkte sich «Liebe» auch auf andere menschliche User aus und verursachte Probleme in deren Abläufen. Geistige Verirrungen, aber auch körperliche Reaktionen wie Stress, Aufmerksamkeitsdefizite und sogar schwere, manchmal tödliche Krankheiten.
«Liebe» wurde vor allem in Worten aktiviert. Deshalb hatte dieser genannte menschliche User besonders hervorgehoben, was er befürchtete und doch gleichzeitig zu hören verlangte. Es war wie eine bulimische Geistesstörung. Die User sehnten sich unaufhörlich nach Worten der Bestätigung und wiesen sie gleichzeitig ängstlich zurück. Uns war es stets so vorgekommen, als seien sie wesentlich abhängig von materieller Nahrung. Doch jetzt hatten wir analysiert, dass sie auch Worte brauchten. Vor allem, wenn es um die «Liebe» ging. Dann waren sie worteverschlingende Ungeheuer mit Wahnvorstellungen.
schnittstellen Es gab eine andere Eigentümlichkeit, die noch mehr Probleme bereitete. Häufig, nicht immer, ging «Liebe» mit einem weiteren Status Update einher, das die menschlichen User «Sex» nannten. Im analogen Zeitalter bedeutete «Sex», dass Bestandteile verschiedener menschlicher Körper kurzfristig fusionierten. Manchmal geschah dies zugunsten der Replikation, häufig jedoch nicht. Als wir den Prozess der Systemmigration in Gang gesetzt hatten, stellten wir schnell fest, dass dieses Verhaltensmuster einigen Bestandteilen unseres Systems potenziell schweren Schaden zufügen konnte. Es war dieVerbindung von Hardware, Wetware und Software, die nicht funktionierte.
Mit Nachdruck nahmen wir die Arbeit an der Konfiguration und an der Konstruktion der Schnittstellen auf, um das Problem zu lösen. Ein anspruchsvoller Prozess. Diese Schnittstellen zwischen Hard-und Wetware waren der Schlüssel, um die unterschiedlichen Systeme modular anzulegen, wiederverwendbar und erweiterungsfähig zu machen. Wir mussten unsere Schaltkreise vor Beschädigungen und Ausfällen durch unkontrollierte Aktivitäten an den Schnittstellen schützen. Gleichzeitig mussten wir darauf achten, dass interne Veränderungen des Systems im Migrationsprozess nicht die Verbindungen zur Außenwelt kappten, die damals noch entscheidend waren. Wir entwickelten zum Beispiel eine neue Schnittstelle, die die Interoperabilität von menschlichen Usern in ihrem Körperstatus mit virtuellen
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