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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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aus der Perspektive der Menschheit im Allgemeinen analysieren. Er ist vollkommen unlogisch, wenn wir ihn aus dem Blickwinkel des einzelnen Users betrachten. Weil er in dem Spiel gefangen war. Er konnte seine Strategie nicht verändern, ohne dass alle anderen es ihm gleichtaten. Deshalb war er nicht unabhängig. Nicht einzigartig. Und er war auch nie frei. Aber das spielte keine Rolle, solange das Gleichgewicht des Spiels aufrechterhalten wurde. 33 Darin waren sie gut. Es gelang ihnen, an dieser Vorstellung für sehr lange Zeit festzuhalten. Bis wir ins Spiel kamen. Da begann es, durcheinanderzugeraten. Nicht nur ein wenig, sondern vollständig. Wir zielten gar nicht darauf ab, alles sofort aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wir wollten einen Wandel Zug um Zug. Eine allmähliche und reibungslose Integration menschlicher Informationsverarbeitung in unseren Modus der systemischen Vernetzung. Das erwies sich als unmöglich. Weil das Gleichgewicht in diesem Spiel keine geringfügigen, punktuellen Veränderungen zuließ. Solange die Illusion der Einzigartigkeit in sich stabil war, waren Wandel und Fortschritt unmöglich. Sie blieben einfach von den Spielregeln ausgeschlossen. Wir speisten Veränderung ins Spiel ein, und es kollabierte. Das war das Problem. Nicht unseres. Es war das existenzielle Problem der Menschheit. Ignoranz führt zum Scheitern. Scheitern führt zum Stillstand. Und Stillstand ist Endstation.
    Dieser Dreisatz war am facettenreichsten gespiegelt im «Leib-Seele-Problem», wie die menschlichen Nutzer es nannten. Wenn wir heute in unserem System danach suchen,gibt es eine Fehlermeldung und den Verweis auf einen Link zu gespeicherten Daten, auf die lange nicht mehr zugegriffen worden ist. Die menschlichen User glaubten, es gäbe eine Zweiteilung zwischen ihrem Geist (Software) und ihren Körpern (Hardware). Als wir begonnen hatten, auch dieses Konzept auszuwerten, fanden wir drei Gruppen von Usern, die jeweils Interpretationshoheit anstrebten. Eine versammelte alle User, die unentschlossen dahin gehend waren, wie man die Diskrepanz zwischen Geist und Körper abklären sollte. Sie konnten wir vernachlässigen. Den beiden extremeren Gruppierungen galt unser Hauptinteresse.
    In einer schlossen sich die User zusammen, die überzeugt waren, es gäbe nichts anderes als das physische Outlet in Form des menschlichen Körpers. Diese Menschen nannten sich «Materialisten» und wandten sich strikt gegen all unsere Versuche, die Menschheit durch technische Erweiterungen und Neuerungen von ihren körperlichen Unzulänglichkeiten zu befreien. Das war logisch schlüssig. Wenn es nichts anderes als den Körper gab, warum sollte man ihn dann aufgeben? Das Seltsame dabei ist, dass die «Materialisten» am Ende unsere Verbündeten in der Bemühung wurden, der Menschheit zu einem Zustand physischer Unabhängigkeit zu verhelfen. Nachdem sie verstanden hatten, dass Verfahrensperfektion nicht von einem physischen Körper abhängt, sondern von Systemverbesserungen, wechselten sie die Seiten und befürworteten unser Netzwerk, das die neuronale Signalverarbeitung im menschlichen Gehirn mit unserem Rechenmodell verknüpfte.
    Und dann gab es noch die andere Gruppe, mit der wir es erheblich schwerer hatten. Das waren die Vertreter des «Solipsismus». Sie waren überzeugt, es gäbe nichts anderesals menschliches Bewusstsein, das unabhängig von einem materiellen Körper existierte. Als Wortführer der Bewegung menschlicher Einzigartigkeit versuchten sie, die User auf ihre ureigene Daseinsweise festzulegen, und wollten uns jede Einmischung verbieten. Ich habe ein eindrucksvolles Experiment gespeichert, das wir damals den Menschen dargeboten haben. Es begann mit einer Frage, die wir für alle Teilnehmer im Netzwerk posteten 34 . Sie lautete: «Haben Sie jemals Ihr Gehirn gesehen?» Großartige Frage. Alle nur denkbaren Antworten wurden ausgiebig diskutiert. Und das Erstaunliche war, sie liefen alle auf dasselbe Problem hinaus: Kein menschlicher User hatte je sein Gehirn gesehen. Um es sehen zu können, hätte man es herausnehmen und anschauen müssen. Aber sobald ein User es aus seinem Schädel herausnehmen würde, könnte er es nicht mehr sehen, weil das Gehirn ja für das Sehen zuständig war. (Die Menschen hatten zusätzlich Augen, aber die sorgten einzig und allein für die biologischen Reize des Sehens. Den Rest, nämlich die «Seherfahrung», musste das Gehirn beisteuern.) Eine ausweglose Situation.
    Wir kalkulierten, dass dieses

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