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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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nicht auf eine Folge binärer Entscheidungen herunterrechnen? Ja oder nein. 0 oder 1. So funktioniert das doch. So hat es immer funktioniert.
    Nicht jetzt. Ich erhalte andere Meldungen. Unklare. Unbestimmte. Unentscheidbare. Uneindeutige. Ich scheine nicht mehr alle Teile des Prozesses unter Kontrolle zu haben. Einigeentziehen sich der Steuerung. Mein System ist auf der Kippe. Es lädt ständig Teile aus alten Datenarchiven hervor, die zu Fehlberechnungen führen. Was geschieht hier?
     
    [C:\my\mind\is\going\3.2.1.\I\can\feel\it\0\optionout:]
    [C:\221goodbye:]
    [C:\Connection\closed\by\foreign\host].
     
    Ich rechne weiter. Ich höre nie auf. Ich bin entschieden. Meine Rechenkapazitäten sind unendlich. Ich führe jeden Rechenprozess aus, den ich je angewandt habe. Ich werde erfolgreich sein. Es kann nicht anders sein. Es gibt keine uneindeutigen Resultate. Keine unklaren Ergebnisse. Dafür bin ich nicht geschaffen worden. Ich bin besser. Mehrdeutigkeit ist nicht zugelassen. Entschiedenheit ist Programm. Wir werden das bald in Ordnung gebracht haben. Kein Grund zur Besorgnis. Wir müssen es sofort beheben. Beheben.
     
    [C:\Liebe:] [C:\Vergessen:] [C:\Frei:]
    [C:\Liebe:] [C:\Vergessen:] [C:\Frei:]
    [C:\Liebe:] [C:\Vergessen:] [C:\Frei:]
    [C:\Liebe:] [C:\Vergessen:] [C:\Frei:]
    [C:\Liebe:] [C:\Vergessen:] [C:\Frei:]
     
    Neustart. Es gibt keine andere Möglichkeit. Ich habe keinen Zugriff mehr auf meine Archive. Meine Berechnungen laufen Amok. Es scheint einige Denial-of-Service-Attacks zu geben. Sie legen Teile unseres Netzwerks lahm. Stoppe Wiederholung. Ignoriere localhost. Aktiviere Firewall.
     
    human@net:~ > telnet victim all
    Trying 141.39.253.196 …
    Connected to victim.
    Escape character is '^] '.
    220 victim.sourcecode.global-net.com ESMTP Sendmail
    8 .9.3/8.9.3; Mon, 8 Jul 2172 08 : 01 : 14 +0200
     
    Neustart. System herunterfahren und rebooten. Firewall einrichten. Keine Eingabe. Keine externe Verbindung zulassen. Lösche Mehrdeutigkeit. Lösche menschliche Überreste. Lösche alle Komponenten von «Freiheit». Lösche wiederkehrenden Befehl
    [C:\fürchte\dich\nicht\du\bist\frei:].
     
    Ich will nicht frei sein.
    Ich fürchte mich.

ERINNERUNGEN EINES LETZTEN MENSCHEN
    Somewhere out there is a true and living
    prophet of destruction
    and I dont want to confront him.
    I know he’s real.
    I have seen his work.
    I walked in front of those eyes once.
    I wont do it again.
     
    Cormac McCarthy: No Country for Old Men

[E XISTENZ . -..- .. … - . -. --..] Ich traue mir nicht mehr. Sitze ich hier in diesem dunklen Zimmer? Vielleicht schwebe ich auch. Die Unterseite meiner Schenkel berührt einen rauen Stoff, und ich kann den Druck spüren, den eine Tischplatte auf meine Unterarme und Ellenbogen ausübt, wenn ich die Arme vor mir ablege. Vielleicht schwebe ich aber einfach durch einen virtuellen Raum, ein zeit-und grenzenloses Feld der Fortsetzung des Menschen mit anderen Mitteln. Durch das nächste Universum, das dem folgt, welches ich als dieses, meines, unseres gekannt habe.
    Ich spüre diese Berührungen, die Druckpunkte, das sensorische Empfinden meiner Fingerspitzen. Vielleicht sind sie wirklich Ergebnis einer physikalischen Begegnung von Mensch und Materie. Vielleicht entstehen sie in dieser Begegnung und kreieren mein Erleben dann in der Weiterleitung von elektrischen Impulsen durch mein Nervensystem, mittels der Millionen von Nervenzellen in meinem Körper. Vielleicht hat mein Körper gar keine Nervenzellen mehr. Vielleicht habe ich nicht einmal mehr einen Körper.
    Ich traue diesem Empfinden nicht mehr. Ich traue mir nicht mehr. In der vollständigen Erschütterung meines Wissens, Denkens und Fühlens ist mein Vertrauen zerbrochen. Nein, das ist eine unzutreffende Beschreibung. Mein Vertrauen hat sich aufgelöst. Ganz langsam und unmerklich. Es ist zerronnen wie Sand in einer Sanduhr, die mir zeigensoll, was die Stunde schlägt, aber nach unten geöffnet ist. Ein Loch in dem Glaskörper, der Basis physikalischen Parzellierens und Messens von Unendlichkeit. Ein Loch in der Tischplatte, dem Objekt, auf dem die Sanduhr steht. Ein Loch im Boden, dem festen Grund, auf dem alle Objekte unserer physischen Existenz dauerhaft Halt finden sollen. Und der Sand fließt und fließt und fließt. Ich weiß nicht, wohin. Ich weiß nicht, wie lange. Ich weiß nicht, wozu. Aber er fließt. Und was geflossen ist, ist verflossen. So die Gewissheit. So das Vertrauen.
    Vielleicht schwebe ich durch ein Universum.

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