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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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Annahme letztlich nur eine Ausprägung menschlicher Hybris war. Ein irrwitziges historisches Missverständnis.
    Die Philosophen des Existenzialismus haben angenommen, der Mensch unterscheide sich von allen anderen Gattungen dadurch, dass er einen Bezug zum Nichts habe. Vielleicht ist es nun aber auch so, dass er das Nichts zu seinem allumfassenden Bezugspunkt gemacht hat? Wenn der Mensch als einziges unter allen Wesen der Verneinung fähig ist, warum hat er das nicht genutzt? Warum hat er aufgehört zu verneinen, was ihn in seiner Existenz in Frage gestellt hat? Warum haben wir zugelassen, dass unsere Welt im Digitalen zerfließt? Oder gibt es die Essenz menschlichen Seins doch ohne Existenz? Dann wäre ich wahr, real. Ich. Immer noch ich. Immer wieder ich.
    Vielleicht haben die Existenzialisten mehr verstanden als der Rest von uns. Ich wünschte, es wären noch immer ihre Fragen, die ich an mich stellen könnte. Und es wären noch immer ihre Antworten, in denen ich mich finden könnte. «Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist», hat Friedrich Nietzsche einst geschrieben. «Was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein
Übergang
und ein
Untergang
ist.» 1
    Wenn eines ist, ist immer auch beides.

[H ORIZONT …. --- .-. .. --.. --- -. -] Bin ich tot? Ich weiß es nicht. Es wäre gut möglich. Es wäre vorstellbar. Ich bin tot und eingegangen in etwas, das ich früher als Versprechen auf «ein Leben danach» immer zurückgewiesen habe. Ein Unsinn all das, was noch kommen soll, wenn unsere Körper am Ende ihrer Zeit angekommen sind. Als ein Freund von mir gestorben ist, habe ich viele dieser Bücher gelesen, die uns den Austritt der Seele aus dem Körper in einem existenziellen Zwischenmoment beschreiben. In einem Moment, indem der Mensch sich selbst als eigen und fremd zugleich betrachten kann. In einem Moment, der nicht jedem Menschen vergönnt ist. Nur denen, die nach einem Unfall oder am Ende einer schweren Krankheit das Glück hatten, noch einmal ins Hier und Jetzt zurückgeholt zu werden. Ins materielle Leben, das eben durch den menschlichen Körper bestimmt wird und ohne ihn nicht stattfinden kann.
    In diesem Moment konnten Menschen sich daran erinnern, wie sie, ausgetreten aus ihrer materiellen Hülle, über ihrem Körper schwebten und diesen beobachteten. Ich habe all diese Bücher gelesen, aber ich habe nie daran glauben können, es für einen kleinen, humanen Betrug der Sinne gehalten. Einen Akt der selbstlosen Mitmenschlichkeit, sich selbst im Moment des Sterbens noch darauf zu konzentrieren, wie man den anderen einen Hoffnungsschimmer hinterlassen kann. Eine Erfahrung, die auf weitere Erfahrungswelten verweist. Noch einmal zurückkommen und die Botschaft platzieren: Da ist mehr. Wir sind mehr als die Summe unserer Teile. Als die Ansammlung von Blut, Haut und Haaren. Hinter dem Horizont des Todes geht es weiter.
    Bin ich in diesem Zustand? Es wäre möglich. Dann war das Versprechen auf «ein Leben danach» nicht grundsätzlich falsch. Es gibt etwas, das noch kommt. Wir bleiben. Nur die Überhöhung und Aufladung war fehlgeleitet. Durchaus menschlich, aber fehlgeleitet.
    Keine Transzendenz. Keine göttliche Erfahrung. Keine Letztbegründung. Ich bin allein unter vielen. Einsam in unendlicher Menge.
    Ich würde viel darum geben zu wissen, ob ich tot bin. Mich selbst jetzt von früher unterscheiden zu können. Mir ist so vieles gleichgültig. Dies nicht. Wenn ich wüsste, ich wäre tot, dann gäbe es eine klare Differenz zwischen demMenschen, der ich einmal war, und dem, was ich jetzt bin. Ein sterblicher Rest, von dem ich nicht weiß, ob es ihn überhaupt noch gibt oder ob er längst verrottet ist. Vielleicht bestehe ich nur in meiner finalen gespeicherten Erinnerung noch weiter. Ein kaum spürbarer Hauch, der dann und wann durch die Ewigkeit weht. Das wäre ein schönes Gefühl. Es brächte etwas Klarheit. Nicht in der Hinsicht, dass sich dadurch faktisch etwas für mich veränderte. Es brächte die Klarheit des endenden Suchens und Fragens.
    ‹Ich bin tot.› Dieser Satz hat eine Schönheit, die mich rührt. Das hätte ich mir vor langer Zeit sicher nicht vorstellen können, dass ich diesen Satz einmal bezaubert vor mich hin flüstern würde. Leise ob des monströsen Moments, der in ihm steckt. Verzweifelt mit leicht angehobener Stimmmelodie am Ende des Satzes. Eine Frage, nicht eine Aussage. Ich bin tot?
    Es sind nicht die Versprechen auf das, was danach

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