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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Meckel
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kommen soll, die diesen Satz für mich reizvoll machen. Es ist die Möglichkeit der individuellen Vollendung, der Erlösung im Nichts. Oder in etwas Fassbarem, Unterscheidbarem. Endlich wissen, was ist. Endlich wissen, was nicht mehr ist. Endlich wieder einen Unterschied spüren. Hier ist alles und nichts. Hier sind viele und keiner. Hier ist alles gleichförmig und gleichwertig. Es gibt die anderen, aber sie bedeuten nichts. Es gibt mich, aber ich bedeute nichts. Ich bin in einem Universum der totalitären Allgegenwärtigkeit, Universalität und Intensität gefangen. Wenn ich tot bin, weiß ich, was Hölle bedeutet. Nicht das Fegefeuer. Nicht die teuflische Verlockung. Nicht körperliche Schmerzen und Qualen. Die gleichförmige, umfassende Endlosigkeit. Das ist die Hölle. Und wenn das der Zustand nach dem Leben ist, dann möchte ich nicht tot sein.
    Ich bin nicht tot. Ich bin Teil dieser neuen Welt, in der Menschen nicht mehr sterben, sondern nur anders zwischengespeichert werden. Ich weiß nicht, wo und wie sich das jetzt bei mir verhält. Ich kann es nicht unterscheiden. Nicht mich von anderen. Nicht früher von jetzt. Nicht Existierendes von nicht Existierendem. Die Aufhebung aller Unterschiede, das war der entscheidende Schritt. Ein kluger Schritt. Ein totalitärer auch. Aber folgerichtig. Wer ihn letztlich gegangen ist? Ich weiß es nicht. Auch darin lässt mich meine Erinnerung nicht mehr unterscheiden.
    Es mag sein, dass wir es selbst waren. In jedem Fall haben wir alle Weichen dazu gestellt. Unbewusst, unüberlegt. Der Gedanke von Unsterblichkeit zieht sich durch die Geschichte der Menschheit. Das glaube ich zu wissen. Vielleicht ist es nicht so. Vielleicht gehört dieser Gedanke zu einem Update, das irgendwann in mir installiert wurde. Ein Legitimationsupdate zur Begründung meines Verbleibs. Es ist mir gleichgültig. Ich nehme es einfach an. Die Menschen haben immer nach Unbegrenztheit gestrebt, weil sie nicht wissen konnten, was es bedeutet. Vielleicht wissen wir es nun. Vielleicht hätte ich auf diese Erkenntnis gerne verzichtet.

[E WIGKEIT . .-- .. --. -.- . .. -] Es war immer der menschliche Körper, der dem Wunsch nach Grenzenlosigkeit entgegenstand. Er war nicht unendlich. Er war anfällig für Fehler, Krankheiten, Missbildungen. Und irgendwann hörte er einfach auf zu funktionieren. Die Medizin hat alles versucht, um diese Mängel zu beseitigen, Krankheiten zu heilen, Fehlfunktionen auszugleichen, um den Körper zu stabilisieren und seine Lebensdauer zu verlängern. Aber sie hat den entscheidenden Schritt nicht geschafft. Irgendwann kam dasEnde. Meist nicht mehr nach wenigen Jahrzehnten, sondern immer später. Aber es kam bestimmt. Da war sie dann wieder, die Vergegenwärtigung menschlicher Endlichkeit, gebunden an die materielle Körperlichkeit des Menschen.
    Also haben wir es anders versucht. Wir haben den Gedanken der Unsterblichkeit auf unseren Geist, unsere individuelle Persönlichkeit, unsere Seele übertragen. Sie sollten bleiben. Und das war – zumindest theoretisch – möglich. Jeder Mensch ist ein Unikat. Und als solches ist der Gedanke, er sei eben zufallsbedingt eine Weile auf dieser Welt zu Gast und dann käme das endgültige Erlöschen, unerhört. Im Wortsinne. Wir haben ihn nicht hören oder denken wollen. Wir haben geglaubt, es müsse jemanden geben, eine wie auch immer geartete Instanz, die uns auch jenseits unserer materiellen, körperlichen Existenz erhört, weil wir es verdient haben. Weil es der Respekt vor der Einzigartigkeit des Menschen verlangt. Das war unsere selbstersonnene Ordnung jenseits der Dinge an sich. Mit der Technisierung und Digitalisierung kam der «Ordnungsschwund». 2
    Zunächst haben wir gesucht nach der unbedingten Ewigkeit, geglaubt daran, dass etwas folgt nach dem materiellen Leben. Es war nur der Glaube, der diese Vorstellung getragen hat, denn Beweise gab es nicht. Aber Glauben wurde in einer Welt deterministischer Datenanalyse und finaler Beweisführungen zu einem anachronistischen Konzept. Wer glaubte, war von gestern. Eine frühere Version des Menschen, inzwischen ergänzt durch zahlreiche Reprogrammierungen und Updates. Irgendwann gibt es immer ein Update, das den Ausschlag gibt. Es hat sich so weit von der Originalversion entfernt, dass die Verbindungslinie reißt. Und an der Bruchstelle kleben die Reminiszenzen, die nicht mehr anschlussfähig sind an das, was gilt. Sie verrotten imRaum zwischen dem früheren Menschen und seiner nächsten

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